Die Seelenfischer (Seelenfischer-Trilogie) (German Edition)
Papiere und das
Segeltuchpäckchen war die Truhe leer. Ignazio zügelte nur mit Mühe die
aufkommende Erregung, die ihn beim Anblick des Päckchens ergriffen hatte.
Vorsichtig hob er es dann heraus. Ernüchtert stellte er fest, dass es sehr
leicht war, zu leicht. Seine Hoffnungen schwanden. Unterschwellig hatte er wohl
auf einen Kirchenschatz gehofft, der in seinen verqueren Gedankengängen bereits
die Dimension des göttlichen Grals angenommen hatte. Im Mindesten jedoch hatte
ihm seine Phantasie kostbare Gold- und Silberkelche, Edelsteine oder auch Reliquien
von Heiligen in kostbaren Schreinen vorgegaukelt. Bentivoglio schlug das
Segeltuch vorsichtig zurück. Der Anblick ließ sein Herz trotzdem höher schlagen
und ihn alle irdischen Schätze vergessen. Was er vorfand, waren zwei versiegelte,
gut erhaltene Behälter aus Ziegenleder. Ignazio kannte diese, er hatte ähnliche
Hüllen oft genug in Sammlungen alter Schriften und auch im Vatikan selbst unter
Glas bewundert. Juden und Frühchristen hatten in diesen länglichen Behältern ihre
zusammengerollten wertvollen Papyri aufbewahrt. Ob die Lederhüllen vielleicht
ein unbekanntes Evangelium bargen? Eines der letzten unbekannten, aber als echt
eingestuften Evangelien war im Jahre 1932 bei Ausgrabungen in einem simplen
Tonkrug in der Türkei entdeckt worden.
Ignazio zügelte sich, sogleich den Inhalt der Hüllen zu erkunden,
denn ein weiterer Blick auf die Uhr zeigte ihm, dass es bereits kurz vor zwei Uhr
war und er sich beeilen musste, wenn er rechtzeitig zurück zu sein wollte.
Hastig schlug er das schwere Segeltuch wieder um die Lederbehälter und klemmte
sich das Päckchen unter seiner langen Jacke fest unter den Arm. Er raffte die
restlichen Dokumente an sich und verstaute sie gleichmäßig in den Innentaschen
seiner Jacke. Falls er zu spät kam, würden seinem Bruder mit etwas Glück die
Dinge im Dunkeln nicht auffallen. Er machte sich nicht die Mühe, die Truhe oder
die Türe wieder zu verschließen, sondern hastete mit eingezogenem Kopf den Gang
zurück. Der Rückweg kam ihm viel länger vor als der Hinweg. Schwer atmend
erreichte er die Leiter und horchte abwartend nach oben, aber kein Laut drang zu
ihm.
Als er bereits den Fuß auf die erste Sprosse gesetzt hatte, fiel
ihm der erste Brief von Piero di Stefano ein, den er vorhin in der kleineren
Schatulle zurückgelassen hatte. Er nahm ihn ebenfalls an sich und kletterte
dann eilig die Leiter hinauf. Vorsichtig steckte er den Kopf heraus und atmete
erst einmal tief durch. Die frische Luft tat ihm gut und die Anspannung wich
etwas von ihm. Sein Hasenfuß von Bruder saß wohl noch im Wagen. Ignazio zog
sich ganz aus dem Einstiegsloch, langte nach seinem Rucksack und verstaute darin
sorgsam das Segeltuchpäckchen und die losen Dokumente, sowie den Inhalt der
Taschen des Toten. Nicht zu früh, sein Bruder kam nun doch angelaufen und
sprang in die Baugrube. „Da bist du ja endlich, Dio sei Dank. Hast du etwas
entdeckt?“, fragte er atemlos.
„Nichts, eine komplette Enttäuschung. Zwei Gänge, die ins
Nirgendwo führten und plötzlich in eine Sackgasse mündeten. Ich habe nur eine
Nische gefunden mit einer Truhe aus Blei, aber sie war leer. Ich glaube, es ist
schon lange jemand vor uns da gewesen, tut mir leid, Giuseppe“, log Ignazio
seinen Bruder ohne die geringsten Gewissensbisse an. Er hatte nicht vor, ihm
von den Lederhüllen zu erzählen, zumal er selbst noch nicht wusste, was sie
enthielten.
„Na ja, ist vielleicht besser so“, antwortete Giuseppe pragmatisch
und klang mehr als erleichtert. „Wer weiß, was es gewesen wäre. Hätte auch eine
Menge Scherereien bedeuten können.“
Er hegte nicht den leisesten Verdacht, dass sein Bruder ihm etwas
verheimlichen oder ihn gar belügen könnte. Sein von ihm bewunderter Bruder nahm
in seinem einfachen Wertesystem einen kaum geringeren Stellenwert als Gott ein.
„Komm, schaufeln wir die ganze Chose wieder zu, es wird spät“,
forderte Giuseppe ihn jetzt auf. Wie zur Bestätigung schlug irgendwo laut
bellend ein Hund an.
Kurz nach vier Uhr morgens waren alle Spuren ihrer Grabung
beseitigt. Der Regen hatte wieder eingesetzt und beide Brüder waren bis auf die
Haut durchnässt, aber er würde auch alle verdächtigen Spuren ihrer nächtlichen
Anstrengungen wegspülen, und Bentivoglio erkannte darin einmal mehr ein Zeichen
des Himmels, das ihn in dem Glauben an seine göttliche Mission weiter bestärkte.
Die beiden Brüder verabschiedeten sich an Ignazios
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