Die Seelenfischer (Seelenfischer-Trilogie) (German Edition)
Taschenlampe
entglitt ihm und fiel in die Tiefe. Ignazio stürzte hinterher.
Er hatte Glück, er fiel nicht tief. Er hatte eine Treppe mit
wenigen Stufen übersehen und fand sich nun an deren Absatz wieder. Außer
einigen tüchtigen blauen Flecken schien er völlig unversehrt zu sein. Ignazio
nahm es als gutes Omen. Dass seine Taschenlampe den Sturz ebenfalls unbeschadet
überstanden hatte, deutete er als ein weiteres gutes Zeichen. Der Jesuit
bekreuzigte sich im vollen Bewusstsein seiner göttlichen Mission. Er befand
sich nun nicht mehr in einem Gang, sondern in einer runden Grotte, deren
Raumhöhe er auf ungefähr vier Meter schätzte. In den Marken und den Abruzzen
gab es eine Vielzahl an Grottenverbunden, die bekanntesten waren die Grotten
von Frassassi, die zum Teil so hoch waren, dass der gesamte Mailänder Dom darin
Platz gefunden hätte. Er hatte den Verdacht, dass diese Grotte eher eine Höhle
war, nicht natürlich entstanden, sondern von Hand erschaffen. Eventuell hatte
dieser Raum früher geheimen Zusammenkünften gedient. Dafür sprach, dass
rundherum ein fünfzig Zentimeter hoher Absatz aus dem Fels geschlagen war, der
sich wie eine steinerne Sitzbank rechts und links im Halbrund um den Raum zog und
auf jeder Seite mindestens fünfundzwanzig Menschen Platz bot. Ignazio erinnerte
sich an das vage Gerücht, dass nach dem Verbot des Ordens in dieser Gegend
einst heimliche Zusammenkünfte verbannter Jesuiten stattgefunden haben sollen.
Konnte es sein, dass er den geheimen Ort gefunden hatte? Der Gedanke ließ sein
Herz erneut rasen. Direkt gegenüber der Treppe, auf der anderen Seite des
Raumes, wurde der Absatz durch eine niedrige und eisenbeschlagene Türe
unterbrochen. Im unsteten Licht seiner Lampe konnte Ignazio unscharf eine Art
Stoffbündel erkennen, das direkt vor der Tür lag. Eilig durchquerte er den
Raum, achtete diesmal jedoch mehr darauf, wohin er trat, da er nicht vorhatte,
sein Glück weiter zu versuchen. Das Stoffbündel neben der Türe entpuppte sich
als etwas, womit der Jesuit bei seiner Schatzsuche so gar nicht gerechnet hatte.
Verblüfft starrte er es an. Es war ein Leichnam. Der Tote war skelettiert, aber
sowohl Kleidung als auch Perücke waren dank der geringen Luftfeuchtigkeit gut
erhalten. Dass sich der Mann hier nicht zu einem gemütlichen Nickerchen
hingelegt hatte, wurde Ignazio mit einem Blick klar: Aus der Brust des Toten
ragte ein Degen, der durch den dicken Stoff des Jacketts gedrungen und, davon
gehalten, steckengeblieben war. Ignazio schätzte Gewänder und Degen auf das
späte 18. Jahrhundert, was hieß, dass er aus der Zeit Piero di Stefanos
stammen musste, vielleicht war er es gar selbst? Ignazio sank neben dem
Leichnam auf die Knie, sprach ein kurzes Totengebet und empfahl die arme Seele
Gott.
Danach durchsuchte er ohne jegliche Skrupel die Taschen des Toten
auf Hinweise. Er fand ein paar italienische Gold- und Silbermünzen, geprägt im
Jahre 1770, die seine Vermutung über das Alter bestätigten, ferner ein
einfaches Kruzifix und eine fein ziselierte goldene Taschenuhr. Da er keine
Zeit hatte, die Funde genauer zu untersuchen, verteilte er alles auf die
Taschen seiner Jacke. Dann wandte er sich der verschlossenen Türe zu. Die
Eisenbeschläge und der Riegel der Türe wiesen wenig Rostspuren auf und er ließ sich ohne viel Mühe
zurückschieben. Die Tür schwang langsam nach innen auf und gab den Blick auf
einen kleinen, niedrigen Raum frei, in dessen Mitte eine weitere Truhe stand.
Sie stellte ein genaues Duplikat der ersten Truhe aus der Nische
dar, allerdings war sie mehr als doppelt so groß. Voller Gier, bar jeglicher
Würde, stürzte er sich auf die Truhe und fiel vor ihr auf die Knie. Gerade noch
rechtzeitig besann er sich auf seinen göttlichen Auftrag und sprach ein kurzes
Gebet. Danach kannte er kein Halten mehr. Mit gehöriger Kraftanstrengung hob er
den schweren Deckel der Truhe an. Auf den ersten Blick schien sie eine Vielzahl
an Dokumenten zu enthalten. Obenauf sprang ihm als erstes ein weiterer mit
rotem Wachs versiegelter Umschlag mit dem Wappen der di Stefanos ins Auge,
darunter lagen ein Päckchen Briefe, die mit einem Band zusammengebunden waren
und einige lose Dokumente. Ungeduldig griff er mit beiden Händen nach dem
Stapel und legte diesen achtlos neben sich auf dem staubigen Boden ab. Auf dem
Grund der Truhe fand er noch ein längliches, ungefähr vierzig Zentimeter langes
Päckchen, fest eingeschlagen in schweres Segeltuch. Bis auf die
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