Die Seelenfischer (Seelenfischer-Trilogie) (German Edition)
weniger die Frage wer , sondern warum der Generalobere der
Jesuiten gerade jetzt ermordet wurde, denn aus sicherer Quelle weiß ich, dass
er tatsächlich nicht mehr lange zu leben hatte.“
„Aha, und damit wären wir beim Motiv angelangt. Schön Columbo, deine
Sommersprossen pfeifen es dir von der Nasenspitze. Du hast längst eine Theorie parat.
Hätte ich mir auch denken können. Also, schieß los, ich bin ganz Ohr.“
„O.k. Du erinnerst dich sicher, dass ich heute früh erwähnt hatte,
dass ich Bentivoglio gerne interviewen würde? Das war nicht nur so dahin
gesagt, um Lukas zu ärgern. Zur Vorbereitung auf mein geplantes Interview habe
ich kürzlich sehr gründliche Recherchen über die Societa Jesu angestellt. Wie
viel weißt du über den Jesuitenorden, Lucie?“
„Oje, zu meiner Schande muss ich gestehen, dass mein Wissen
darüber hauptsächlich auf der klassischen Angélique-Mädchenlektüre basiert, in
denen der Jesuitenpater d`Orgeval ein richtig gutes Feindbild abgibt. Bis Lukas
zu dem Verein kam, hielt ich alle Jesuiten für fanatische Demagogen. Immerhin
ist mir bekannt, dass der Orden vor über 450 Jahren von einem spanischen Adeligen
namens Loyola gegründet wurde. Und die Jesuitenpriester gelten als katholische
Elite, weil sie nur die Besten und Klügsten in ihre Reihen aufnehmen. Seit
Lukas dabei ist, denke ich, dass sie im Grunde ein ganz ordentlicher Haufen
sein müssen, sonst hätte er sich nicht für sie entschieden. Ende meines
Lateins.“ Lucie sah aus, als ob sie keinen Beifall erwartete.
„War doch gar nicht mal so schlecht“, lobte ihre Freundin dennoch.
„Trotzdem kriegst du jetzt einen Crashkurs. Der Orden wurde 1540 von dem baskischen
Adeligen Ignazio von Loyola gegründet, als die Staatskirche gerade in der größten
Krise ihrer Geschichte steckte: Es war die Zeit der Reformation und halb Europa
war dabei, sich vom Katholizismus zu verabschieden: England und Schottland
sowieso, dazu ganz Skandinavien, Frankreich, Polen. Es gibt eine Menge
katholischer Männerorden: Benediktiner, Franziskaner, Dominikaner etc. Traditionell
aber steht der Pater General der Jesuiten an der Spitze aller - was ihn
innerhalb der Kirchenhierarchie zum zweitmächtigsten Mann neben dem
Kardinalstaatssekretär macht. Man nennt ihn auch den Schwarzen Papst. Aber keiner
der Orden war je so umstritten, hat je derart an Macht gewonnen und wieder
verloren, wurde verfolgt, seine Mitglieder deportiert, eingekerkert oder
ermordet. Mit einer Ausnahme: dem sagenumwobenen Orden der Tempelritter. Den
Templern erging es wie den Jesuiten, nur schon vierhundertfünfzig Jahre früher.
1773, auf dem Höhepunkt seiner Macht wird der Jesuitenorden vom Papst
persönlich verboten und das, obwohl er als einziger unter allen Bruderschaften diesem
durch ein spezielles Gehorsamsgelübde verbunden war. Die genauen Umstände, die zu
der Absetzung der Societa Jesu führten, konnten bis heute nie richtig geklärt
werden. Erst 41 Jahre später wurde sie wieder eingesetzt. Seitdem strampelt
sich der Orden ab. Die damalige Feindesliste liest sich wie das „Who is who“
Europas führender Köpfe: der Papst, sämtliche Oberhäupter der Königshäuser,
allen voran die erzkatholischen Spanier, gefällige Erfinder der Inquisition, die
Franzosen und Portugiesen. Sogar unser alter Reichskanzler Bismarck hat sie
gefürchtet wie Tod und Schwefel und 1872 als Staatsfeinde gebrandmarkt. Da drängt
sich einem die Frage auf: Warum hatten ausgerechnet die Mächtigen geradezu eine
Höllenangst vor den Jesuiten? Mit einen Grund liefert deren Bildungspolitik: Der
Orden hatte teilweise das Monopol der höheren Schulbildung der männlichen
Jugend inne und besaß praktisch in jeder wichtigen Stadt ein Kolleg oder eine
Universität. Die bekannteste ist die 1812 gegründete Georgetown Universität in
Washington. Besonders in Europa übte der Orden einen enormen Einfluss in der
Erziehung der künftigen Elite aus, denn die Jesuiten bauten die religiöse
Unterweisung in ihren gesamten Unterricht ein. Klingt nach Indoktrinierung,
oder? Heute unterhält der Orden in 75 Ländern 180 Universitäten, dazu 1500 Schulen.
Es wird dich wundern zu hören, Lucie, wer alles bei denen studiert hat:
Voltaire, Descartes, Heinrich Heine und James Joyce, die Regisseure Bu ñ uel und Hitchcock. Allein in der deutschen
Wirtschaft arbeiten nicht wenige ehemalige Jesuiten als Unternehmensberater. Anrüchig
finde ich bei den Jesuiten aber vor allem eins: deren sogenannte
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