Die Seelenfischer (Seelenfischer-Trilogie) (German Edition)
Stettens äußerlicher Panzer bekam Risse und kalte Furcht sickerte ein.
Widerwillig war er dem Beamten in dessen Büro gefolgt. Der Hörer lag neben der
Gabel und der Beamte reichte ihn an von Stetten weiter. Dieser holte tief Atem,
straffte seine Schultern und griff danach: „Heinrich von Stetten spricht.“
Am anderen Ende antwortete ihm eine in Tränen aufgelöste Lucie. Ihr
Vater verstand keinen Ton, Lucie schluchzte nur ins Telefon. Dann übernahm eine
männliche Stimme.
Karl Benrath, Justitiar des von Stetten Imperiums und sein bester
Freund, teilte ihm mit, dass sein Sohn Alexander beim Skifahren in Chamonix verunglückt
sei. Er und sein Freund hatten sich abseits der Piste befunden und die
Lawinenwarnung nicht beachtet. Sie hatten keine Chance gehabt, beide hatten nur
noch tot aus dem Schnee geborgen werden können. Aus von Stettens Gesicht war
alles Blut gewichen. Zum ersten Mal in seinem Leben wurden ihm die Knie weich
und er musste sich setzen. Nein, dachte er, bitte nicht Alexander. Sein
ältester Sohn und Erbe, erst 27 Jahre alt. Sein ganzer Stolz, begabt und so viel
versprechend. Er hätte die Firma in einigen Jahren von seinem Vater übernehmen
sollen.
Vom Foyer der Finks aus rief der Baron zurück. Frau Gabler meldete
sich: „Herr von Stetten, Sie möchten bitte sofort ihre Tochter Lucie in Rom
anrufen. Haben Sie die Nummer?“
„Ja. Ist etwas passiert, hat Lucie irgendetwas gesagt?“
„Nein, nur, dass
es sehr dringend und wichtig ist.“
„Ist gut Frau Gabler, danke. Ihnen einen schönen Abend.“
Nervös tippte er den Anschluss der Wohnung in Rom. Lucie war
sofort am Apparat: „Papa?“
Gott sei Dank , sichtliche Erleichterung
durchflutete ihn. Die Stimme seiner Tochter klang gefasst, dann konnte es nicht
so wild sein.
„Was gibt es denn so Wichtiges Lucie, dass du mich mitten aus
einem Konzert holst?“
„Sie haben Lukas verhaftet, Papa. Du musst sofort etwas
unternehmen“, stieß sie überhastet hervor.
„Wie bitte? Was erzählst du da? Das ist doch wohl nicht dein Ernst.
Wer soll denn Lukas verhaftet haben und warum?“ Der Senior glaubte tatsächlich
sich verhört zu haben.
„Doch, doch. Lukas hatte heute Nachmittag eine Audienz bei dem
Pater General und als er heimkam, hat die Polizei hier auf ihn gewartet und verhaftet“,
erklärte ihm Lucie völlig zusammenhanglos.
Verwirrt schüttelte von Stetten Senior den Kopf. „Langsam Lucie,
was erzählst du für einen Unsinn. Man kann doch Lukas nicht verhaften, nur weil
er eine Audienz beim Pater General hatte?“
Lucie antwortete nicht, stattdessen hörte von Stetten, wie eine
andere Frauenstimme im Hintergrund etwas zu Lucie sagte und dann den Hörer
übernahm.
„Hallo Onkel Heinrich, hier spricht Rabea.“ Aha, Rabea, dachte der Alte. Das hätte er sich beinahe denken können. Wenn irgendwo etwas
passierte, war sie meist nicht weit weg. Doch er war erleichtert, ihre Stimme
zu hören. Rabea würde in jeder Situation einen kühlen Kopf bewahren. Er kannte
sie beinahe so gut wie seine eigenen Kinder, da sie quasi mit ihnen zusammen
aufgewachsen war. Er konnte sie gut leiden, auch wenn ihn ihre respektlose Art
das eine oder andere Mal in der Vergangenheit aus der Fassung gebracht hatte.
Aber ihm waren starke Persönlichkeiten schon immer lieber gewesen als devote
Jasager.
Rabea verschaffte ihm in knappen Worten einen Überblick über die
Lage. Der alte Patriarch blieb gefasst. Da auch er davon ausging, dass Lukas in
keinster Weise etwas mit dem Mord an dem Generaloberen zu tun hatte, war er
zuversichtlich, dass die Angelegenheit bald aus der Welt geschafft sein würde.
Sein Sohn schien nur zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort gewesen zu sein. Er
musste nur dafür sorgen, dass er die Sache schnell und diskret klärte, damit die
Presse davon keinen Wind bekam. Sein Unternehmen hatte viele Regierungsaufträge
und ein Sohn, der unter Mordverdacht stand, würde von staatlicher Seite ziemlich
viel Staub aufwirbeln.
„Ist gut, Rabea. Richte Lucie aus, sie solle sich keine Sorgen
machen. Ich kümmere mich um alles. Innerhalb der nächsten Stunde wird ein
Anwalt auf dem Präsidium sein. Hast du die Adresse?“ Rabea bejahte und der alte
von Stetten notierte sie sich. Dann meinte er abschließend: „Sag Lucie, dass
Lukas morgen wieder zu Hause sein wird. Ich muss jetzt zurück zu Evelyn. Sie
macht sich sonst Sorgen. Du weißt ja, wie sensibilisiert sie seit der Sache mit
Alexander ist. Ich halte euch auf dem Laufenden.
Weitere Kostenlose Bücher