Die Seelenfischer (Seelenfischer-Trilogie) (German Edition)
weiterhin ungemütliches Schweigen.
Mit dem leisen Ticken der antiken Standuhr im Wohnzimmer und dem
wieder aufgenommenen Trommeln auf der Sofalehne durch den Commissario, wuchs
die Nervosität der beiden Frauen stetig an. Als Lucie endlich den Schlüssel im
Schloss gehört hatte, war sie sofort ungeduldig aufgesprungen und ihrem Bruder
entgegen geeilt. Grassa schob sich nun bestimmt an Lucie vorbei und hielt Lukas
einen amtlichen Ausweis, der ihn als Commissario Riccardo Grassa auswies, unter
die Nase.
„Sind Sie Pater von Stetten?“, schnarrte der Commissario amtlich.
„Ja, was kann ich für Sie tun?“, erwiderte Lukas höflich, während
ihm das schnell schmelzende Eis auf die Hand tropfte.
„Mit uns mitkommen. Ich verhafte Sie hiermit wegen des Mordes an
dem Generaloberen der Jesuiten, Pater Ignazio Bentivoglio.“
Lucie schrie entsetzt auf, während Rabea heftig nach Luft
schnappte. Also doch! Diese kleine, schmierige Wanze .
Unter seiner Bräune wurde Lukas aschfahl. „ Wie bitte? Das
kann nicht sein. Es muss sich um eine Verwechslung handeln. Der Pater General
lebt. Ich habe ihn heute Nachmittag gesprochen“, stotterte er hilflos.
„Genau deshalb sind wir hier. Es scheint, dass Sie der Letzte sind,
der mit ihm gesprochen hat. Vielen Dank, dass Sie uns dies gleich zu Beginn
bestätigt haben. Das erleichtert unsere Ermittlungen sehr. Ich mache Sie
trotzdem darauf aufmerksam, dass alles, was Sie ab jetzt sagen, gegen Sie
verwandt werden kann. Kommen Sie.“ Der Commissario griff nach seinem Arm.
Fassungslos starrte der junge Jesuit auf die Hand, die ihn festhielt. Plötzlich
schoss ihm ein bestürzender Gedanke durch den Kopf: der Schließfachschlüssel! Die Beamten würden ihn durchsuchen, den Schlüssel bei ihm finden und sofort
konfiszieren. Er musste dies unbedingt verhindern, er hatte auf die Bibel
geschworen, dass niemand von dem Inhalt des Schließfaches erfahren durfte. Ganz
abgesehen davon, dass die Polizei daraus sofort das klassischste Mordmotiv
überhaupt konstruieren würde: Habgier.
Er musste den Schlüssel sofort loswerden. Verzweifelt suchte er
nach einem Ausweg. Als ein weiterer Klecks des bedenklich schmelzenden Eises
auf seine Hand tropfte, hatte er unvermittelt eine Eingebung. Er täuschte einen
heftigen Hustenanfall vor und krümmte sich nach Luft schnappend nach vorne,
wobei er mit der freien Hand unauffällig nach dem winzigen Schlüssel in seiner
Brusttasche tastete. Gott sei Dank konnte er ihn gleich fassen und drückte
diesen blitzschnell in das weiche Eis. Lucie hatte sich bei seinem Hustenanfall
entrüstet an Commissario Grassa vorbei geschoben und klopfte ihrem Bruder
besorgt auf den Rücken. Dadurch hatte sie den beiden Beamten unwissentlich den
Blick auf Lukas verstellt, so dass diese nichts von der Aktion mitbekommen
hatten. Nun trat der zweite Beamte hinzu, der Handschellen bereithielt, um ihm
diese vorschriftsmäßig anzulegen.
Lukas von Stetten straffte seine Schultern und bewahrte Würde. Er
hatte nicht das Geringste mit dem Mord an dem Pater General zu tun, alles würde
sich aufklären.
„Lucie, würdest du bitte das Eis nehmen, damit mir der Herr hier
die Handschellen anlegen kann?“
Er warf ihr dabei einen verschwörerischen Blick zu, der sowohl
seine Schwester als auch die Eistüte einschloss. Er hoffte sehr, dass Lucie
begriff und das Eis nicht einfach wegwerfen würde. Diesen Blick hatten sie
während ihrer Kinderzeit oft ausgetauscht, wenn sie ein Geheimnis teilten. Wenn
Lucie den Schlüssel im Eis entdeckte, würde sie eins und eins zusammenzählen.
Sie zwinkerte kurz zurück, was ihm signalisierte, dass sie begriffen hatte,
dass er etwas von ihr wollte. Commissario Grassa machte ihm jedoch einen Strich
durch die Rechnung. Mit festem Griff nahm er ihm die Eistüte aus der Hand und
meinte: „Nein, nein Pater, lassen Sie mal. Ich nehme das. Wäre doch schade um
unser berühmtes italienisches Eis“, gluckste er und tat, als würde er
genüsslich an dem Eis schlecken wollen. Lukas beobachtete ihn gebannt, während
der zweite Beamte ihm die Handschellen anlegte. Der Commissario hatte doch wohl
nicht vor, das Eis aufzuessen? Dann käme er erst so richtig in die Bredouille.
Anstatt den Schlüssel in seiner Brusttasche zu finden, würde er der Polizei
zusätzlich erklären müssen, warum er ihn im Eis versteckt hatte.
Commissario Grassa deutete seinen erschrockenen Blick völlig
falsch: „Also gut, Pater von Stetten, ich bin ja kein Unmensch. Essen Sie
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