Die Seelenfischer (Seelenfischer-Trilogie) (German Edition)
Signorine, es war mir ein seltenes Vergnügen. Sogni
d´oro , Träume aus Gold, wie wir Italiener zu sagen pflegen.“ Es folgte eine
formvollendete Verbeugung und er fuhr davon.
Rabea sandte ihm einen amüsierten Blick hinterher. Mit seiner
hohen, trillernder Stimme, dem graumelierten Anzug und dem giftgrün karierten
Hemd samt der quietschgelben Krawatte erinnerte sie der kleine Mann an die
Reinkarnation eines Kanarienvogels. Dass er für jeden Staatsanwalt Roms, der
bisher das Missvergnügen hatte, mit Pierangeli die Klingen in einem
Gerichtssaal zu kreuzen, einen gefürchteten Gegner darstellte, sah man ihm nicht
an. Während sie die Treppe hinaufstiegen, meinte Rabea: „Wir sollten uns
wirklich alle eine Runde aufs Ohr hauen. Ich hoffe nur, du kannst das auch nach
der ganzen Aufregung, Lukas. Oder hast du etwas anderes im Sinn?“, ergänzte sie,
als der junge Mann schnurstracks die Küche ansteuerte und den Kühlschrank
aufriss.
„Ja, essen“, erwiderte er und griff nach einem Kopf Knoblauch und dem
Parmesan.
Eine halbe Stunde später staunten Lucie und Rabea nicht schlecht
über die Unmengen Spaghetti al´ Aglio e Olio, die Lukas verschlang, nachdem er
sich diese mit reichlich von beidem zubereitet hatte. Beide Frauen hatten bei
seinem Angebot, mitzuessen, dankend abgewinkt - wobei die vielen Knoblauchzehen,
die er verarbeitet hatte, hierbei keine geringe Rolle spielten. Lucie hatte
abgelehnt, da sie am Morgen in das Hotel Bernini eingeladen war, um einem
besonderen Vortrag ihrer Professorin van Kampen zu hören, die dort um Geld für
ihre Stiftung warb, die sich für die Forschung und Suche nach verschollenen
Schriften einsetzte und sie dort ungern als Geruchsbelästigung auffallen wollte;
Rabea, weil sie um neun Uhr ein Bewerbungsgespräch mit dem ortansässigen
Redakteur ihres Senders vereinbart hatte, um ihre geplante Interviewserie mit
bekannten italienischen Persönlichkeiten zu besprechen. Lukas kannte weniger
Skrupel. Für ihn stand in den nächsten Stunden außer dem Gespräch mit
Pierangeli nichts an und der Avocato würde es aushalten, hatte dieser doch
selbst einen leichten Hauch von Knoblaucharoma verbreitet.
Natürlich gab es außer seinem Hunger einen besonderen Grund, für
seinen verschwenderischen Umgang damit: Knoblauch war das einzige Abführmittel,
das er neben Sauerkraut und Essig kannte. Sauerkraut befand sich ungefähr 900
km weit weg in Frau Gablers Vorratsschrank und allein bei dem Gedanken, puren
Essig durch seine geschundene Kehle zu jagen, hatte es ihm die Eingeweide
verknäult. Blieb also nur die berüchtigte Gewürzallzweckwaffe. Er schaufelte
zwei volle Teller Spaghetti in sich hinein und trank dazu einen Liter stilles
Wasser. Nach seinem üppigen Mahl lehnte er sich satt und zufrieden in seinem
Korbstuhl zurück. Er musste nun nur noch warten, dass die Natur ihr gebührendes
Recht walten ließ.
Er schloss die Augen und ließ die Ereignisse des Tages vor seinem
inneren Auge nochmals Revue passieren. Die heisere Stimme des Pater General
schien unablässig in seinem Kopf herumzuspuken, Sprachfetzen vermengten sich,
formierten sich und erdrückten ihn mit ihrer Last und er fühlte sich, als würde
er hilflos in einem rasenden, dunklen Strudel treiben, der unablässig die
Richtung wechselte. Bentivoglios Tod hatte alles verändert, denn völlig
unerwartet saß er auf dessen Geheimnis fest. Was sollte er jetzt tun? Musste
er, Lukas, die Entscheidung treffen, vor dessen Tragweite Bentivoglio in all
den Jahren selbst immer zurückgeschreckt war? Eine Entscheidung, die das Wissen
und die Enthüllung eines verhängnisvollen Geheimnisses betraf, dessen
Bedeutung, aber auch Schaden für die Kirche laut dem verstorbenen Pater General
bei Veröffentlichung unermesslich sein konnte? Erneut rief sich der junge
Jesuit die letzte Botschaft seines Onkels ins Gedächtnis. Und wenn das
"X" auf der halb vollendeten Predigt tatsächlich eine Nachricht
gewesen war, die das Geheimnis Bentivoglios betraf? Wo lag die Verbindung
zwischen Bentivoglios folgenschweren Enthüllungen und dem, was sein Onkel Franz
angeblich kürzlich erst entdeckt hatte? Bentivoglio hatte ihm versichert, dass
er alle Zusammenhänge verstehen würde, sobald er das Schließfach geöffnet
hätte. So sehr Lukas seine Gedanken drehte und wendete, er landete immer wieder
an dem gleichen Ausgangspunkt: Er konnte sich seiner Aufgabe nicht entziehen. Er
musste die letzte Bitte seines Generaloberen erfüllen, wenn er wollte,
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