Die Seelenfischer (Seelenfischer-Trilogie) (German Edition)
dass die
wahren Schuldigen, die Mörder seines Onkels und Bentivoglios gefasst wurden. Er
musste dem gefährlichen Inhalt des Schließfaches auf den Grund gehen.
Ein lautes Grollen seines Magens erinnerte ihn an die
Erfordernisse des Augenblicks; der winzige Schlüssel lag ihm schwer wie ein
Pflasterstein im Magen. Zudem versuchte er möglichst nicht daran zu denken, dass
kein geringes Risiko bestand, dass ihm der Schlüssel während des natürlichen
Verdauungsprozesses den Darm perforieren könnte. Sollte er das Darmgewebe
verletzen und die Bakterien in sein Blut gelangen, lief er Gefahr, sich einer
tödlichen Infektion auszusetzen. Als Achtjähriger hatte er im Rahmen einer
Mutprobe eine kleine Büroklammer, die in einem Stück Wurst steckte, verschluckt
und er konnte sich noch ziemlich genau an die Aufregung seiner Eltern erinnern,
als er stolz wie Oskar die Büroklammer zwischen den nur notdürftig gesäuberten
Fingern präsentierte, um Vater und Mutter freudestrahlend an seinem Erfolg
teilhaben zu lassen. Die saftige Backpfeife, inklusive der lautstarken
Strafpredigt, die er dafür von seinem Vater über die Dummheit von Mutproben
kassiert hatte, hatte er bis heute nicht vergessen. Seine Mutter hingegen hatte
ihn tränenreich und so fest an sich gedrückt, dass er Mühe hatte, noch genügend
Luft zum Atmen zu bekommen.
Während er die Spaghetti in sich hinein schaufelte, hatte der
junge Priester ein ungewöhnliches Stoßgebet an seinen Herrgott gesandt, dessen
Inhalt ungefähr der Bitte entsprach, ihm Unterstützung bei der gesunden
Verdauung eines Schlüssels angedeihen zu lassen. Die Vorstellung, nachts
hilflos in ein Krankenhaus eingeliefert zu werden, wo eine Schwester womöglich
den Schlüssel in seinen Hinterlassenschaften entdecken würde, trieb ihm den
Angstschweiß auf die Stirn. Doch im Augenblick konnte er nichts weiter tun, als
auf die siegreiche Kombination von Gott und Knoblauch zu hoffen.
Lucie und Rabea leisteten ihm in der Küche Gesellschaft. Solange
er aß, zügelten sie ihre eigenen Fragen. Lucie erzählte ihm begeistert von
ihrem gemeinsam verbrachten Nachmittag. Zuerst waren sie mit der Professorin in
das Psammostudio in der Via Nationale, in der Nähe des Hauptbahnhofes Stazione
Termini gefahren und hatten zu dritt die Methode, sich in dem erhitzten Sandbad
zu entspannen, erprobt. Rabea dachte bei sich, dass es noch sehr viel
entspannender gewesen wäre, wenn die Professorin nicht andauernd ohne Punkt und
Komma geredet und dazwischen noch ungefähr eintausend Fragen gestellt hätte.
Wie Lukas fand sie diese Frau ziemlich ermüdend. Nur mit Mühe und viel diplomatischem
Geschick gelang es Rabea schließlich, die geschwätzige Frau für den Rest des
Tages loszuwerden. Die zwei Freundinnen waren in die Innenstadt zurückgekehrt
und hatten einen Spaziergang über die Piazza Navona gemacht. Obwohl Rabea ihn
kannte, war sie immer wieder von seiner Symmetrie und der Schönheit der
Vier-Flüsse-Brunnen Berninis begeistert. Sie hatten eine Weile in den
angesagten Designer Secondhandläden gestöbert, die sich in den vielen
Nebengassen der Piazza Navona befanden, jedoch außer einem grüngemusterten
Seidenschal von Laura Biagotti, der toll zu Rabeas roten Haaren passte, nichts
erstanden. Danach waren sie weiter Richtung Pantheon geschlendert. Rabea, die
die Piazza della Rotonda gut kannte und das Pantheon viele Male von außen
gesehen hatte, hatte sich von Lucie mit der Bemerkung, dass das Pantheon
ursprünglich ein heidnisches Bauwerk war und erst in Zeiten Kaiser Konstantins
in eine christliche Kirche umgewandelt wurde, dazu überreden lassen, dieses zum
ersten Mal zu betreten. Seit ihrer Kindheit mied sie stoisch jede Kirche, als
ob innen die Pest auf sie warten würde. Dann jedoch hatten sie die Größe und
Erhabenheit des weitläufigen, runden Gebäudes und das immense Kuppeldach
überwältigt. Lucie erklärte ihr, dass noch Jahrhunderte später die Baumeister
über die Bauweise der Kuppel gerätselt hatten, deren Vollkommenheit und
Geheimnis sie nicht ergründen, geschweige denn nachbauen konnten. Sie
besichtigten das Grab des großen Malers Rafael, der Zeit seines Lebens im
Schatten Michelangelos gestanden hatte und der im Pantheon, neben vielen
christlichen Herrschern, die letzte Ruhe gefunden hatte. Später gönnten sie
sich jeder ein riesiges Eis aus derselben Bar in der Nähe des Pantheons, in die
später Lukas einkehren würde, um dann mit der Eistüte in der Hand verhaftet zu
werden.
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