Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Seelenfischer (Seelenfischer-Trilogie) (German Edition)

Die Seelenfischer (Seelenfischer-Trilogie) (German Edition)

Titel: Die Seelenfischer (Seelenfischer-Trilogie) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanni Münzer
Vom Netzwerk:
Schreibtisch zu stoppen. Das Licht der
Schreibtischlampe fiel auf die Fensterscheibe und reflektierte sein Bild.
Grassa musterte sich, weniger aus Narzissmus, vielmehr wie ein Kaufmann, der
sein Warenlager taxierte, und schien zufrieden mit der Inventur seiner selbst. Er
war 36 Jahre alt, besaß einen sportlich durchtrainierten Körper und strahlte
insgesamt eine gesunde und animalische Vitalität aus. Seine blendende
Erscheinung war für ihn Mittel zum Zweck und seine Eintrittskarte in die gute
Gesellschaft gewesen. Bedenkenlos hatte er sie mehr als einmal ausgespielt.
Wäre er eine Frau gewesen, könnte man es so ausdrücken: Er hatte mit so mancher
Besetzungscouch Bekanntschaft gemacht.
    Diese Skrupellosigkeit, gepaart mit hoher Intelligenz und analytischem
Verstand, sowie sein brennender Ehrgeiz hatten ihm den Weg für die steile
Karriere als jüngster Dezernatsleiter der Mordkommission in der Hauptstadt geebnet.
In vielen Jahren mühevoller Kleinstarbeit hatte er sich ein nützliches und
effektives Netzwerk aufgebaut, um sich diejenigen Persönlichkeiten zum Freund
zu machen, die ihm auf dem Weg ganz nach oben von Nutzen sein konnten. Oft half
er im Rahmen seiner Möglichkeiten diesen Dingen nach, wie im Falle des
Ministers, den er bei einer Razzia in einem Bordell, das für besonders junge
und frische Ware bekannt war, antraf und selbstverständlich dort „nie“ gesehen
hatte. Dass die Razzia aufgrund eines Tipps durch einen von Grassas zahlreichen
Informanten überhaupt aus diesem Grunde stattgefunden hatte, würde der Minister
nie erfahren. Stattdessen war er ihm nun zu Dankbarkeit verpflichtet und sah in
ihm einen Verbündeten. Nichts schmiedete mehr Bündnisse als das Wissen um
gemeinsame Erlebnisse, gleich ob diesen Schurkereien, Geheimnisse oder das
Wohlwollen der Fortuna zu Grunde liegen.
    Seine Methode war so einfach wie raffiniert und verfehlte nie seine
Wirkung. Ein jeder hatte eine Leiche im Keller, und wer tatsächlich keine
hatte, den versorgte Grassa persönlich mit einer. In seiner Wohnung, gut gesichert
in einem versteckten Tresor, lagen Dutzende von Dossiers, die ihm zu gegebener
Zeit einmal sehr förderlich sein konnten.
    Grassa betrachtete seine sorgfältig manikürten Hände. Nichts an
ihm erinnerte mehr an den verwahrlosten, schmuddeligen Waisenjungen aus Napoli,
der sich am liebsten am Hafen und auf den vielen Gemüse- und Fischmärkten
herumgetrieben hatte, um sich dort im täglichen Gewühl sein Essen zu stehlen.
Nichts, außer den feinen, weißen Linien an seinen Handinnenflächen. Es waren
Narben, Überbleibsel der häufigen Züchtigungen durch die Leiterin des
Waisenhauses, Schwester Filliberta. Auf einer seiner Diebestouren hatte man ihn
schließlich aufgegriffen und in das katholische Waisenhaus der Ordensschwester
gebracht. Immer wieder war er von dort ausgerissen, immer wieder hatten sie ihn
dorthin zurückgebracht und er hatte seine Strafe erhalten, für jedes erneute
Ausreißen fünfundzwanzig Schläge mit dem Weidenstock pro Handfläche. Das
Stehlen war für ihn außerhalb des Waisenhauses eine Notwendigkeit zum Überleben
und bei jeder neuen Verfehlung fielen die Bestrafungen härter aus. Er hatte die
Demütigungen vor den anderen Kindern und die Schmerzen stoisch ertragen, schon
damals getragen von der lodernden Flamme des Stolzes in ihm. Schlimmer jedoch
als die Schläge war für ihn das stundenlange, einsame Knien in der kleinen
Kapelle des Waisenhauses. Manchmal musste er auch, nur mit einem fadenscheinigen
Pyjama bekleidet, die halbe Nacht mit ausgebreiteten Armen und Beinen auf dem
Bauch in der eiskalten Kapelle liegen bleiben, so dass er danach jedes Mal so
steif gefroren war, dass er ohne fremde Hilfe nicht mehr aufstehen konnte.
Schwester Filliberta wollte ihm damit Ehrfurcht vor Gott beibringen, schürte
jedoch damit nur seinen unbändigen Hass auf alles, was mit Gott und Religion
zusammenhing und besonders verabscheute er seither deren irdische Vertreter.
    Grassa erhob sich, öffnete das Fenster und sofort strömte warme,
stickige Luft herein. Obwohl weit nach Mitternacht hatte sich die Temperatur in
der Stadt kaum abgekühlt und draußen war es ein ganzes Stück wärmer als in
seinem klimatisierten Büro. Es war ihm egal. Genüsslich reckte er seine steifen
Glieder vor dem offenen Fenster. Dann lehnte er sich, die Hände auf die
steinerne Fensterbrüstung gestützt, weit hinaus, hob den Kopf und betrachtete
den sternenklaren Himmel, der sich wie dunkler Samt

Weitere Kostenlose Bücher