Die Seelenjägerin
oder besudelt werden, denn das war Kostas’ bevorzugter Zeitvertreib.
Nur ihr Garten war vor ihm sicher. Nicht einmal die Asche lag dort allzu dick. Merian hatte es darauf zurückgeführt, dass der Palast mit seinen Mauern den Wind abgehalten hatte, aber Gwynofar stellte sich lieber vor, es sei der Wunsch der Götter, diesen einen Ort unversehrt zu belassen. Damit es noch einen Flecken Erde gäbe, der nicht von Kostas’ Zauberei beschmutzt war, und an dem sie Frieden finden konnte.
Als sie jetzt den Kopf von dem mit Kiefernnadeln übersäten Boden hob, erkannte sie, dass sie sich genau an diesem Ort befand. Die Erschöpfung musste sie wohl übermannt haben, während sie ihre Andacht hielt. Oder sie hatte einfach den Kopf für ein Weilchen auf die Erde gelegt und die Augen geschlossen, im Vertrauen darauf, dass dies der einzige Winkel im ganzen Palast war, wo Kostas sie nicht stören würde – oder konnte . Und dann war sie eingeschlafen, denn die Grenze zwischen dem Albtraum im Wachen und dem Albtraum im Schlaf war so unscharf gezogen, dass sie nicht spürte, wie sie von einem in den anderen glitt.
Wie tief war sie gefallen, seit sie als Großkönigin neben Danton auf dem Thron gesessen hatte! Inzwischen war der Verwesungsgestank im Palast so überwältigend, dass sie es kaum noch drinnen aushielt. Wenn sie nicht mehrmals am Tag hierher in den Garten flüchtete, nur um reine Luft zu atmen, müsste sie an Kostas’ Verderbtheit ersticken. Danton konnte sie das alles natürlich nicht erklären. Er hätte es als Wahnsinn – oder, noch schlimmer, als Hexerei – abgetan, und sie hätte nur einen weiteren Keil zwischen sich und ihn getrieben. Als ob das noch nötig wäre!
Unsicher erhob sie sich und streifte sich die dürren Kiefernnadeln von ihrem Trauergewand. Ob sie wohl ihre Zofe rufen könnte, um sich den Schmutz auch aus dem Haar lesen zu lassen? Aber Merian war inzwischen so außer sich vor Sorge um ihre Herrin, sodass Gwynofar sich fast schämte, sich ihr in diesem Zustand zu zeigen. Lieber säuberte sie sich eigenhändig, bevor sie der Dienerin unter die Augen trat.
Kaum hatte sie sich eine goldene Locke über die Schulter nach vorn gezogen und begonnen, sie zu entwirren, als hinter ihr ein Zweig knackte. Ihr blieb fast das Herz stehen. Das Geräusch kam aus der hintersten Ecke des Gartens, wo die Blaukiefern so nahe beisammen standen, dass die Sonne kaum bis auf den Boden fiel; die Äste bildeten eine dichte Wand, durch die sie nicht hindurchsehen konnte. Wer käme hierher, ohne sich anzumelden, und warum?
Auf diese Frage gab es keine gute Antwort.
Mit wild pochendem Herzen suchte sie nach einer Waffe, um sich zu verteidigen, und hob endlich einen Ast auf, der unweit von ihr zu Boden gefallen war. Ihre Hand zitterte, und noch während sie die Finger um das Holz schloss, wusste sie, dass die Mühe vergeblich war. Zu viele Jahre waren vergangen, seit sie und Rhys als Kinder auf der Wiese Heilige Hüter gespielt und in Scheingefechten mit Besenstielen die letzten Verteidiger einer Dämonenfestung in die Flucht geschlagen hatten. Aber wenigstens sah sie mit dem Ding in der Hand nicht mehr ganz so wehrlos aus; vielleicht wäre auch das schon eine Hilfe.
Eine Gestalt trat aus den Schatten und schob mit schmaler, blasser Hand die wollene Kapuze zurück, um Gwynofar ihr Gesicht zu zeigen.
Ihr drohten die Beine zu versagen. Die notdürftige Waffe entglitt ihren Fingern.
»Andovan?«, flüsterte sie ungläubig.
Im ersten Moment glaubte sie, nicht einen lebenden Menschen vor sich zu haben, sondern einen Geist. Der Besucher sah bleich und verhärmt aus, seine Wangen waren hohl, und er wirkte hagerer, als Andovan es je gewesen war. Gwynofar ging langsam auf die Erscheinung zu, hob die Hand und strich ihr über die Wange. Die Haut fühlte sich trocken und straff an, aber es war echte Haut. Ein Mensch aus Fleisch und Blut.
»Andovan …« Sie konnte nicht mehr sagen; die Mischung aus Freude und übermächtigem Schmerz erstickte alle Worte. Er schloss sie nur schweigend in die Arme und drückte sie an sich. Trotz der schrecklichen Schwundsucht, die an seinen Kräften zehrte, war seine Umarmung fest und sicher, ein Trost für den Körper wie für die Seele.
Gwynofar weinte. Vor Glück, vor Angst, vor reiner Erschöpfung. Sie weinte um Andovans Verlust, um das Elend ihrer Trauer und um alles, was auf seinen Tod gefolgt war. Sie weinte um all die Nächte, in denen sie zu ihren Göttern gebetet hatte und scheinbar
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