Die Seelenkriegerin - 3
Gespräch in dem Blutbad geendet, nach dem das Tier in seinem Inneren so lauthals schrie. Doch nun regten sich andere Gefühle in ihm, Gefühle von beunruhigender Fremdartigkeit, die seine menschlichere Seite ansprachen. Und so ließ er nicht zu, dass das Tier die Oberhand gewann. Jedenfalls noch nicht gleich.
Was die Zukunft der Zivilisation anging, so hatte der Fremde natürlich recht. Kein Magister wusste das besser als Colivar. Er allein übersah das volle Ausmaß dessen, was die Menschheit verloren hatte. In einer Weise, die keiner der anderen vollends begreifen konnte, sehnte er sich nach jener alten Welt. Und er kannte das wahre Wesen der Magister gut genug, um sich darüber im Klaren zu sein, dass die Menschen solche Höhen nie mehr erreichen würden. Die Seelenfresser hatten einfach zu viel zerstört. Und danach waren die Magister gekommen. Von der ersten Heimsuchung mochte sich die Menschheit noch erholen, doch die zweite war weitaus schlimmer.
»Wir sind die Raubtiere«, sagte er schroff. »Nicht die Wärter.«
»Und was nützt uns diese Unterscheidung, wenn die Welt im Chaos versinkt? Denn sie ist auf dem besten Wege dazu, und das weißt du genau. Vielleicht verblutet sie nur langsam an den Wunden, die wir ihr bisher geschlagen haben, aber sie verblutet daran. Wir müssen die Blutung stillen, solange Heilung noch möglich ist. Sonst rinnt uns die ganze Welt durch die Finger, und wir werden sie mit allen unseren Zauberkräften nicht wiederherstellen können.«
»Du sorgst dich um die Morati«, provozierte Colivar sein Gegenüber. Nicht, weil er das dem Fremden wirklich unterstellte, sondern um das Tier in ihm zu reizen und ihn abzulenken. Einem Magister menschliches Mitgefühl vorzuwerfen, das galt als schwere Beleidigung. Er war neugierig, wie sein Gegenüber darauf reagieren würde.
Doch der andere verzog keine Miene. »Und du warst einmal bereit, für sie zu sterben, Colivar. Jedenfalls lässt sich das den Mythen entnehmen. Ist es wahr? Hat dir das Wohl der gewöhnlichen Sterblichen tatsächlich so viel bedeutet?«
Erinnerungen – echte Erinnerungen! – stiegen aus der Dunkelheit empor, in der er sie vor langer Zeit vergraben hatte. Sie waren vom Wahnsinn in Fetzen gerissen und jahrelang im Vergessen erstickt worden, aber trotz ihres elenden Zustandes gelang es ihnen, ihn bis in die Tiefen seiner Seele zu erschüttern.
Er wandte sich ab, um dem Fremden nicht in die Augen sehen zu müssen, und schaute über das Schlachtfeld. Die Raben hatten sich niedergelassen und begonnen, sich am Fleisch der Gefallenen gütlich zu tun. Einige der Soldaten waren noch gar nicht tot, jedoch so schwer verwundet, dass sie sich gegen die Vögel nicht wehren konnten. Colivar war sich bewusst, dass er diesen Raben näherstand als den Morati. Damit konnte er sich abfinden; das Tier in ihm ließ nichts anderes zu. Vor langer Zeit hatte er noch versucht, es zu verleugnen und sich vorzugaukeln, er wäre noch immer ein Mensch. Doch inzwischen war das Tier ein Teil seiner Seele geworden, er hatte sich ihm freiwillig unterworfen, und nun ließ es sich nicht mehr so leicht unterdrücken.
Wenn du wüsstest, wo die wahre Quelle deiner Macht liegt , dachte er, würdest du mir solche Fragen nicht stellen.
»Es mag einmal einen Moratus namens Colivar gegeben haben, dem diese Welt am Herzen lag.« Er bemühte sich, seine Stimme von allen Gefühlen frei zu halten, um den Fremden nicht merken zu lassen, welchen Sturm er mit seiner Frage entfacht hatte. »Vielleicht wäre er sogar bereit gewesen, sein Leben für sie zu geben. Aber dieser Mann ist tot.« Er wandte sich wieder dem lästigen Besucher zu. »Wir sind, was wir sind. Und alle Zauberei der Welt kann daran nichts ändern.«
»Nein.« Der andere nickte nachdrücklich, mit einer Ruhe, die Colivar rasend machte. War das innere Tier dieses Mannes schwächer als sein eigenes oder lediglich besser gezähmt? Er hatte sich immer gefragt, was die anderen Mitglieder seiner Bruderschaft empfanden. Waren ihre Kämpfe mit sich selbst weniger heftig, weil sie weiter von der Quelle entfernt waren als er? Oder konnten sie sie lediglich besser verbergen? »Zauberei kann nichts ändern.«
»Was dann?«
»Etwas, das mächtiger ist als Zauberei. Etwas, dessen Wert die Morati ironischerweise kennen … während wir ihn vergessen haben.« Er ließ Colivar kurz darüber nachdenken, und schließlich sagte er sehr leise: »Ein Gesetz.«
Colivar holte zischend Atem. »Was … meinst du damit?
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