Die Seelenpest
besorgen, vielleicht noch eine Decke oder so.«
Gregor stand auf. »Ich hätte jedenfalls Angst vor Clifford, an deiner Stelle.«
»Tolle Hilfe!«, sagte Andrew. »Und was bitte soll ich tun?«
»Vielleicht die Finger von der Sache lassen?«
»Die Sache ist ein Hund«, schimpfte Andrew. »Er hat eine Seele, wie wir.«
»Jetzt spinnst du wirklich. Ein Hund mit Seele! Ich hör schon, wie dich Clifford runterputzt.« Er machte Cliffords schneidende Stimme nach: »Und so also kommen auch die Hunde in das Paradies, Master Whisper! Wie wunderbar!…«
»Der zweifelt auch bloß«, sagte Andrew. Er wusste, dass Gregor jetzt große Ohren kriegte.
»Meinst du, Clifford zweifelt heimlich?«
»Jeder zweifelt heimlich.«
»Glaub ich nicht.«
»Dann lass es sein. Wir können Gott nicht fragen, oder? Ob Hunde eine Seele haben.« Er sah Gregor an. »Was würdest du ihn fragen?«
Gregor wurde bleich. Er zögerte. Dann sagte er: »Ob Gott bei mir ist. Ob er mich kennt.«
»Aber was, wenn Gott gar nicht existiert?«
»Mich gibt es ja auch, und dich«, versetzte Gregor. »Diesen Hund da, die ganze Welt. Also muss es Gott geben, der sie gemacht hat.«
»Ich weiß nicht«, sagte Andrew lässig.
Gregor blinzelte. »Aber ohne Gott gäbe es die Welt nicht.«
»Wieso denn?«
»Woher soll denn sonst alles kommen?«
Andrew zuckte mit den Achseln. »Es wäre eben einfach da.«
Gregor schüttelte sich. Plötzlich sprang er ein Stück zur Seite, als hätte ihm jemand einen Stoß versetzt. Er sah die toten Schüler vor sich in der Phantasie. Ein paar von ihnen hatte er gekannt. Wusste Gott, dass so etwas geschehen war? Wusste ER, dass Harry Duncan Gift genommen hatte? Sein Leichnam steckte ganz zerschnitten im Schaufelrad der Wassermühle von Laughing Hill. Und jetzt der Neue in der Clifford-Klasse, der erst am Morgen aufgefunden worden war! Wusste Gott das alles? Oder war das alles ohne IHN passiert? War die Welt – die Sterne und der Ozean, die Berge, Flüsse, Bäume, Menschen, Vögel, Steine, Wanzen, Staub, die Luft, alles, was es gab –, war das womöglich ohne Gott entstanden, ganz von alleine, irgendwie…?
Andrew sah, dass Gregor sich grauste. »Hab nicht immer so viel Schiss!« Er spuckte aus. »Wenn es Gott nicht gibt, müssen wir eben alles selber machen.«
»Es muss ihn geben.«
»Wenn es dich tröstet.« Andrew schubste Gregor vor sich her auf den Gang zu, der zurück zum Hof führte. »Denk an den armen Clatter! Wir treffen uns am Abend.«
Gregor stolperte, fing sich wieder und riss dabei ein paar Holunderzweige ab, mit denen er die Luft auspeitschte. Es pfiff und schwirrte, als wären Engel in der Nähe.
»Hör mal, Greg«, sagte Andrew, als sie den schmalen Gang betraten. »Ich denke auch, dass es Gott geben muss. Aber was, wenn wir ihn alle bloß erdenken, wenn er ein Wunschgedanke ist? Dann ist auch die Gerechtigkeit verschwunden, die Gott in unsere Herzen legt. Die Welt muss dann so kalt und böse sein, ich könnte keinen Augenblick mehr leben…«
5. K APITEL ,
in welchem ein Gerücht grassiert
»Man erzählt sich überall…«, sagte Lady Alice und blickte ihrem Mann gerade in die Augen. »Es heißt, man habe eine Kommission gegründet.« Thomas verzog den Mund. »So, so. Es heißt und man erzählt sich! Die anderen sagen!… Was erzählt man sich denn so?«
»Ich weiß es, Morland«, antwortete die Dame. »Man bildet eine Untersuchungskommission, die den rätselhaften Tod der Schüler klären soll.«
»Der Tod lässt sich nicht klären«, schulmeisterte Morland. Natürlich war diese Wortspalterei lächerlich. Er schluckte angestrengt. »Verzeih, aber ich darf darüber nicht sprechen.«
»Mit wem nicht? Mit mir?«
»Mit niemand, Frau.« Er wandte sich ab und zuckte mit den Schultern.
Lady Alice stand im großen Zimmer an der Anrichte und legte Tücher zusammen. Sie nahm sie an den Zipfeln, ließ sie fallen und legte sie aufs Holz. Sie strich sie glatt, halbierte sie hängend, viertelte und achtelte, bis das Bündel nur noch ziegelgroß war. Dann legte sie das Tuch auf einen kleinen Turm, der fast schon eine Elle hoch war und manchmal wankte.
»Du dürftest gar nichts davon wissen«, sagte Thomas und drehte sich wieder zu ihr hin. »Dass die Weiber alles ausforschen müssen! Es gibt eine Kommission, ja, aber das ist Routine. Und es wäre mir lieber, du würdest dich weniger mit Margaret verschwören. Wo ist sie eigentlich?«
»Sie kommt.«
»Was heißt, sie kommt?«
»Sie wird
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