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Die Seelenpest

Die Seelenpest

Titel: Die Seelenpest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Seidel
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mittelgroßer Mann in einem langen, blauen, ziemlich abgetragenen Hausrock. Er grüßte mit einer angedeuteten Verbeugung. Er roch nicht gut, aber nur Alice nahm es wahr.
    »Geht es Ihnen gut?«, fragte er.
    »Danke, Mister Gills«, antwortete die Dame. »Doch dieser Mann hier, mein Ehegatte, leidet, weil er mich zur Frau genommen hat. Immer wenn es ernst und wichtig wird, schweigt er sich aus.«
    »Hören Sie einfach nicht hin, William!«, sagte Thomas. »Ich habe ihr schon viel zu viel verraten. Es wird erst Ruhe sein, wenn sie neben mir im Tower sitzt und jammert. Der König hat Besseres zu tun, als die Weiber dieser Stadt mit geheimem Gesprächsstoff zu versorgen!«
    Sie warf ihm einen giftigen Blick zu.
    »Die Seelenpest…?«, sagte William Gills. Er zog ein Schreiben aus der Tasche. »Schlechte Nachrichten, Sir Thomas. Der Parlamentsbote hat dies hier eben an die Tür gebracht. Sekretär Harris hat es geöffnet und mir im Vertrauen mitgeteilt.«
    Thomas nahm den Brief und las.
    »Etwa ein neuer Toter?«, fragte Lady Alice.
    Gills nickte. »Draußen an den Bunhill Fields. Und wieder so ein Abschiedsbrief. Die Stadt summt von Gerüchten. Jetzt sagt man, Luther hätte von Deutschland Mörder ausgesandt, die mit Geschick und Gift die Jugend unseres Landes töten werden.«
    Lady Alice hatte die Hand am Mund. Das Kinn zitterte. »Und wenn es stimmt?«
    »Ich muss ins Parlament«, sagte Thomas. »William, Sie sind mein Anwalt und leben mit in meinem Haus. Ich vertraue Ihnen. Bleiben Sie hier und beschützen Sie mein Weib. Sie zittert schon, als würde man sie jeden Augenblick ermorden.« Er zog den Mund breit und blickte entnervt zur Decke. »Oder kümmern Sie sich um Margaret, sie ist verrückt geworden, sie will den König stürzen! Oder jedenfalls den Vater…«
    Er lachte bitter, raffte einige Papiere zusammen und verließ das Zimmer.

6. K APITEL ,
    in welchem Freunde sich Vertrauen schenken
     
     
     
    In dem ganzen Schlafsaal brannte eine einzige Kerze. Die meisten Jungen lagen in ihren Betten, einige schliefen schon. Nur Andrew, Gregor und Search hockten an Charles’ Bett und flüsterten.
    Charles lag auf der Seite. Er trug in Öl getränkte Lappen um die Knie. Andrew hatte sie besorgt.
    »So wie Clifford sich verhält, möchte ich schwören, dass er Dreck am Stecken hat«, erklärte er und musste den anderen ein zweites Mal schildern, was der Präzeptor vor seinen Augen in dem Klassenzimmer aufgeführt hatte.
    »Und wieso warst du selbst in Gully, als du ihn dort mit McDuff gesehen hast?«, fragte Search.
    »Ein spanischer Matrose verkauft dort braune Blätter, die man anzündet und deren Rauch man einatmet. Dir wird schwindelig, Junge, aber du wirst es lieben.«
    »Woher hast du das Geld dafür?«, fragte Charles.
    »Er arbeitet in Southwark«, antwortete Gregor und stieß Andrew an. »Bear Garden! Er hat Geheimnisse, der Kerl.«
    Andrew ärgerte sich. »Ich habe einen verletzten Hund gerettet. Er liegt im Deadhouse. Heute Nacht bringen wir ihn durch die Stadt zum Schlangenkeller. Leider hat mich Clifford gesehen, als ich ihn über die Brücke brachte. Die Tochter des Unterschatzkanzlers war dabei. Sie heißt Margaret und geht niemand etwas an.«
    »Er ist verknallt!«, maulte Charles.
    Andrew hatte nichts anderes erwartet und sich vorgenommen, die Fopperei wehrlos über sich ergehen zu lassen.
    »Hast du sie schon geküsst?«, fragte Charles.
    »Wenn ja, würde ich es dir haarklein erzählen, Flachkopf.«
    »Die Tochter des Unterschatzkanzlers!«, flüsterte Gregor. »Warst du schon mit ihr am Hof des Königs? Du träumst doch!«
    Andrew sagte nichts. Er hatte keine Lust zu streiten. Er dachte an den Hund und dass er in der Küche des Konvikts noch dringend ein paar Abfälle stehlen musste, bevor sie Clatter auf dem Karren durch die dunklen Gassen bis nach Bridewell ziehen konnten.
    Und der Präzeptor Clifford ging ihm durch den Kopf. Vielleicht war alles eine Drohung, das Knien auf den Erbsen, womöglich sogar Charles’ Bestrafung, für die es keinen nachvollziehbaren Anlass gegeben hatte, was allerdings für Clifford nicht unüblich war. Andrew hatte sogar den Verdacht, dass Clifford wusste, dass es den Schlangenkeller und die Blackfrairs Seven gab, dass sie dort Pilze aßen, gewisse Rinden kochten und nun die Blätter des Spaniers verbrennen und einatmen würden, kurz, dass Clifford all dies wusste und noch mehr. Und Andrew dachte weiter: Was hatte Clifford mit den toten Jungs zu tun? Was hatte er

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