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Die Seelenpest

Die Seelenpest

Titel: Die Seelenpest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Seidel
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Amtsmiene aufgesetzt, sie kannte das.
    »Was ich nur sagen will, ist, dass ich dankbar wäre, wenn du nicht auch darüber reden würdest. Es liegt mir sehr am Herzen. Ich weiß, du möchtest von mir wissen, was ich darüber weiß. Ich darf es dir nicht sagen.«
    »Weil es zu bedrohlich ist für mich?«
    »Nein. Weil ich es nicht darf!«
    »Ich bin fast sechzehn Jahre alt. Ich bin erwachsen.«
    Thomas nickte freundlich.
    »Es hat nichts mit Lebenserfahrung zu tun«, erklärte er. »Eher mit Klugheit. Und so gesehen wärst du die Erste, der ich etwas über diese Dinge sagen müsste.«
    »Danke, Vater«, sagte sie.
    Aber sie war keineswegs zufrieden. Die ganze Stadt sprach über diese toten Schüler und die rätselhafte Seelenpest!
    »Ist es eine Krankheit?«, fragte Margaret.
    Thomas nahm ihre Hand und legte sie in seine. »Es ist in erster Linie kein Gesprächsthema für ein junges, gebildetes Mädchen. Worte sind gefährlich, sie können Messer sein, sie können töten, Megge.«
    »Ja, eben, deshalb interessiert es mich.«
    Er schüttelte den Kopf. »Mein kluges Kind. Das kommt davon, wenn man es gut meint und die Kinder unterrichtet, sie wollen alles wissen, auch das Gefährliche… Doch nun zu Andrew Whisper, Megge. Ich würde mich freuen, wenn man mir nicht länger Dinge zutrüge, die mir nicht gefallen.«
    Margaret entzog ihm ihre Hand. Warum war ein Vater so stark? Warum hatte er so viel Macht über das Leben seiner Kinder? Wieso durfte er mit einem Wort die ganze Welt umwerfen, beinah wie Gott?
    »Du siehst, ich habe nur Bitten an dich. Ich muss mich bei dir entschuldigen. Aber tu mir den Gefallen! Dein alter Vater wird genug bekämpft. Der König quält mich, der Lordkanzler Wolsey ist noch schlimmer. Am meisten piesackt mich der Bürgermeister, der Lord Mayor, der mir den zweiten Rappen abgekauft hat, welcher seit gestern lahmt. Er will sein Geld zurück, dieser Gauner, aber ich huste ihm was.«
    »In Wahrheit sind Sie überall beliebt, Vater«, sagte Margaret und fasste nun seine Hände. »Und Sie wissen es. Und ich liebe Sie am tollsten, das ist wahr. Sie kokettieren, lieber Vater, Sie werden sich versündigen.«
    »Ja«, sagte er ernst. »Und du bist daran schuld.« Er zog die Säume seines Hausmantels enger. Es war kühl geworden. »Ich will nicht, dass meine Tochter Umgang hat mit einem Querkopf. Dieser Andrew Whisper ist renitent.«
    »Er ist ehrlich, Vater.«
    »Ehrlich!«, rief Thomas verächtlich. »Wenn er ehrlich wäre, hätte er dir längst gesagt, dass sein Vater ein Taugenichts und Trinker ist und jede Menge Schulden bei mir hat. Ich kann es nicht erlauben, ich will es nicht. Es schadet uns, mir, der Familie, allen. Ich kann in meiner Position nicht milde sein, es ist unmöglich.«
    »Der Vater vergiftet die Gefühle seiner Tochter!«, rief sie empört.
    Thomas machte große Augen. »Du weißt gar nicht, was Gefühle sind. Du bist ein Kind. Wenn das Gefühl den Thron besteigt, tritt Hunger ein und alle Freunde werden dich verlassen.«
    »Lieber Vater, wie können Sie so etwas denken?«
    »Ich bin ein Mann. Ein Mann weiß so etwas, eine Frau nicht.«
    Sie schwieg. Sie fühlte sich plötzlich schwach. Es war, als hätte er eine Zauberformel gesprochen. Die Art, wie er es sagte, war jedes Mal beinah mosaisch. Sie sah die Gesetzestafeln vor sich, hörte die Schläge des Meißels, der Steinstaub brannte in ihren Augen…
    »Sie haben sicher Recht«, sagte sie grimmig und löste sich von ihm.
    »Ich wäre sonst ein schlechter Vater«, sagte er. »Ich versuche, dich zu verstehen, und schlage dich nie. Welcher Vater ist so gütig? Aber zu viel Freiheit hat den Verlust der Form zur Folge. Was ist, wenn die Welt die Form verliert? Du bist klug genug, Megge, dir diese Frage selbst zu beantworten.«
    »Ich liebe Sie trotzdem, Vater«, sagte Margaret, mit einem Mal versöhnt. Sie würde ihn bezwingen, irgendwie. Ein andermal.
    Sie machte einen Knicks und verließ das Zimmer. Sie ging die obersten Stufen hinunter. Der Vater schaute ihr nach. Sie winkte auf der Wendeltreppe, bis er nicht mehr zu sehen war.

4. K APITEL ,
    in welchem Gott an Macht einbüßt
     
     
     
    Das Dormitorium, der Schlafsaal des Konvikts, war leer und düster. Durch das schimmlige Ölpapier der beiden winzigen Fenster fiel das Sonnenlicht herein, als wäre es mit Mehl vermischt.
    »Das ist also Nummer acht«, sagte der Präzeptor Clifford. »Wo bleiben denn die Träger?«
    Gregor Gascoigne stand wie gelähmt neben der Pritsche, auf

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