Die Seelenpest
getrieben, mit niemand sonst!
Und trieb es noch, rannte heute noch lachend auf ihn zu und fasste einen Finger, dann die Hand und hielt sie fest. »Erzähl mir was und hör nie auf damit!« Er, der Narr, der Kasper, der Hanswurst im Hause Morland – erzählte, schwatzte, und summte, bis Margaret einschlief, wie vor hundert Jahren, so erschien es ihm. Sie liebte seine Schnurre, im Sommer Libellen einzufangen und ihre Flügel mit Harz wie kleine Pfauenräder miteinander zu verkleben, um irgendwann damit zu fliegen. Sie stellte es sich lustig vor. Sie flog mit ihm, fasste seinen Finger und erhob sich in den Himmel, wo nur Gott und die Engel sein sollten. Sie verstand ihn wirklich, tiefer noch als John, der doch ein Kindskopf war. Sie beschützte ihren »Vogelmenschen« und hatte alle Mitbewohner (es waren achtzehn) überzeugt, dass Raspale harmlos war, wenn er des Nachts durch Flure schlich und in den Keller. Ihr verdankte er zudem, dass Sir Thomas ihn vor Jahren nicht aus dem Haus verwiesen hatte, als er, der Hausnarr, krank geworden war.
Eines Morgens war er wach geworden und hatte Flecken im Gesicht gehabt, am ganzen Körper. Der Arzt kam und war ratlos, hatte flüsternd Warnungen geäußert, dass eine solche Krankheit das Haus verpesten könne. Was dann zu allem Unglück auch passierte: Die Kinder wurden krank und eine Magd.
Raspale bettelte, nicht vor die Stadt gejagt zu werden, was üblich war. Nur Margaret stand zu ihm und drängte ihren Vater, noch Geduld zu haben. Sie betete sechs Wochen lang und Raspale genas endlich, mit Gottes und mit ihrer Hilfe. »Ein Kinderwunder!«, hatte Lady Alice überall erzählt.
Mit Margaret redete er auch anders als mit anderen. Ihr hatte er gestanden, dass er in seinem tiefsten Herzen zweifle, dass Gott im Himmel wohne, dort oben, wo die Wolken sind. Vielmehr in den Bäumen, erklärte er, in manchen Steinen auch, im Wasser allemal und in den Tieren sowieso.
Margaret nahm Raspale manchmal wortlos in den Arm. In diesem Schweigen lag sein Glück. Alles nur für Margaret. Margaret! Für sie fing er Libellen, für sie versuchte er zu fliegen! Vielleicht nicht hoch, vielleicht nicht bis in Gottes Himmel wie die Engel. Vielleicht nur wie die lieben Vöglein über allen Dächern…!
8. K APITEL ,
in welchem nicht nur die Liebe wichtig ist
Die Sonne stand schon tief. Während Andrew auf Margaret gewartet hatte, war unter seinen Händen ein kleines Haus entstanden, gebaut aus Zweigen, Laub und mit dem Messer glatt geschnitzter Rinde. Es war eins der wenigen Treffen, von denen auch Raspale nichts erfahren sollte.
Das Laubhäuschen war nicht größer als ein Ziegelstein. Es hatte eine Tür, zwei Fenster und ein Dach. Der Schornstein war ein dicker Stock. Andrew wischte Laub und Erde glatt und machte so den Garten. Der Zaun war ein Spalier aus kurzen Zweigen.
»Für uns beide?«, fragte Margaret prompt.
Er hatte sie zwar leise kommen hören, sich aber nicht umgedreht. Er reichte ihr die Hand. Sie hockte sich und war sofort verzaubert.
»Wenn du es willst«, sagte er.
Er sog die Luft in ihrer Nähe ein. Ihr Duft war so geheimnisvoll. Sie betrachtete das Häuschen, fand es entzückend und fühlte sich verstanden. Er sah sie an und freute sich, dass sie sich freute.
Ihr Treffpunkt war ein alter Garten in Smithfield, wo sie sich sicher fühlten. Sie saßen eng beisammen und hielten sich bei den Händen. Andrew hatte sich verkleidet, er trug ein blaues, festes Hemd und eine eingekerbte Mütze, wie ein Matrose sah er aus.
Er hatte schon gewusst, dass sie so etwas fragen würde, wenn sie das Häuschen sah. Ob es für sie beide sei. Als er zu bauen angefangen hatte, war ihm nichts dergleichen durch den Sinn gegangen. Er hatte sich einfach bloß gelangweilt. Nach einer Weile war ihm klar geworden, dass Margaret mehr darin erkennen würde. Er hatte einen Augenblick gezaudert, unsicher, ob er das Häuschen schnell zerstören sollte.
Sie passten nun mal nicht zusammen. Margaret, das ferne Königskind, und er, der Bettelknabe! Sie hatten sich bei einem Schulfest des New Inn das erste Mal gesehen. Margaret war immer wieder rot geworden. Andrew hatte gar nicht glauben können, dass ein Mädchen ihn so ansah. Er hatte sich geziert, war immer wieder ausgewichen, zweifelnd, ob wirklich er gemeint sei. Erst gegen Ende des Festes war Margaret auf ihn zugekommen, wie zufällig, und hatte im Vorübergehen seinen Arm berührt. Ihr Vater, selbst einst Schüler am New Inn und heute Freund
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