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Die Seelenpest

Die Seelenpest

Titel: Die Seelenpest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Seidel
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Menschen töten konnten…
    »Wir brauchen einen Schlachtplan gegen Clifford«, stellte Andrew fest. »Er führt etwas gegen mich im Schilde. Gegen uns alle, glaube ich. Er weiß vielleicht, dass wir uns heimlich treffen.«
    »Ich hab noch eine andere Sorge«, gestand Gregor unerwartet. »Vor zwei Wochen traf ich meinen Patenonkel. Er konnte mich nie leiden, hat mich als Kind verprügelt. Er hat eine Fähre auf dem Fluss. Ich hätte ihn vielleicht gar nicht mehr erkannt; jedenfalls sah er mich und lachte, gab mir die Hand und quatschte los, als wären wir die dicksten Freunde. Wie Leid es ihm täte, dass meine Mutter gestorben sei, und so was. Ich hab ihm nichts geglaubt, es war so seltsam.«
    »Was meinst du mit seltsam?«, fragte Search.
    »Ob ich nicht Lust hätte, gelegentlich zu ihm nach Hoxton zu kommen, in seinen Garten, wo er Bienen hat und Obst. Jetzt, wo ich Schüler im New Inn sei, wo doch jeder wisse, dass die Suppenteller dort oft trocken bleiben. Ich war erstaunt. Das kann nicht der Pate Aron sein, dachte ich. Aber er war es, die gestreifte Landsknechtshose und die langen, braunen Haare…«
    »Langsam!«, unterbrach ihn Andrew. »Mit so einem Kerl habe ich gestern Clifford auf der Brücke reden sehen. Langes offenes Haar und zwei verschiedene Hosenbeine.«
    Gregor bestätigte.
    »Andrew hat Recht. Wir brauchen einen Schlachtplan«, bemerkte Search.
    »Erst mal werden Gregor und ich zum Fluss gehen«, sagte Andrew, »um zu sehen, ob wir tatsächlich denselben Kerl meinen. Am besten morgen.« Man sah ihm an, dass er sich Sorgen machte. »Was mich am meisten stört, ist, dass ich diesen Mann zusammen mit Clifford gesehen habe. Clifford hat sich irgendwie verändert, finde ich. Er war ja immer mies und grausam, aber heute Morgen kam er an mir vorüber, und ich bin sicher, dass er weinte.«
    »Nicht Clifford, nie«, sagte Search.
    »Das dachte ich auch sofort.«
    »Vielleicht hat er eine Krankheit, die ihm Schmerzen macht«, schlug Gregor vor. »Ich will mich nicht versündigen, aber so richtig Leid tut er mir nicht.«
    »Wohl niemandem«, sagte Andrew. Er fand einfach nicht die richtigen Worte, um den anderen zu sagen, was er fühlte. Clifford und Tim McDuff… Clifford und dieser fremde Mann an der Brückenrampe… Die Art, wie Clifford ihn angesehen hatte, die Art, wie er mit ihm im Klassenzimmer umgegangen war… All das machte ihn nervös, ließ ihn nicht schlafen.
    »Ich weiß nur eins«, sagte Gregor und riss Andrew in die Gegenwart zurück. »Mein Patenonkel ist ein richtig mieser Hund.«
    »Psst!«, machte Andrew und deutete auf Clatter. »Wie gut für dich, dass unser Hund fest schläft und dich nicht hören kann.«

7. K APITEL ,
    worin ein Mensch vom Fliegen träumt
     
     
     
    The Old Barge, das große Stadthaus Sir Thomas Morlands, stand frei am Ende zweier Straßen, die an dieser Stelle zusammenliefen.
    Nach Westen, im Rücken des Hauses, erstreckten sich eigene Gärten und Felder, es gab Ställe, Scheunen und Volieren, in denen ein paar Raben, ein Dutzend Fasane und ein uralter Pfau lebten, der den Namen Leo trug. Dass auch der Papst so hieß, war Zufall. Dennoch, behauptete Raspale, habe der Vogel so manche Ähnlichkeit mit Seiner Heiligkeit im fernen Rom: »Genauso bunt und gottlos!«
    Sir Thomas überhörte es.
    Raspale war sein Diener und sein Hausnarr. Und Narren dürfen sagen, was sie wollen; ihre Worte sind bedeutungslos. Raspale lebte in einer winzigen Dachmansarde des Old Barge, von wo aus er täglich auf die Welt herniederblickte und mehr als alle anderen sah. Raspale war es auch, der sich am meisten um die Tiere kümmerte, die Garten, Hof und Haus bevölkerten.
    Neben Hunden, Ziegen, Eseln, Gänsen, Hühnern und einigen Wildschweinen gab es auch zwei Affen, die in einer alten, trockenen Scheune lebten. Dorthin zog sich Raspale oft zurück, wenn er genug vom Rummel der Familie hatte, wenn er mit Wesen reden wollte, »die unserem Herrgott näher sind als jeder Mensch«.
    Das Morlandsche Anwesen hatte siebzehn Zimmer und einen hohen Treppengiebel, der fast alle Häuser der Umgebung überragte. Raspale liebte diesen Giebel, denn er hatte ihm einmal das Leben gerettet, wie er fand, vor vielen Jahren, als er sich einmal verlaufen hatte und nicht mehr wusste, in welche Richtung er nach Hause gehen musste. Da, plötzlich, hatte er zwischen den vielen fremden Dächern, sehr klein und schrecklich fern, die Stufen des heimatlichen Giebels sehen können. Seither schlich er sich manchmal aus

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