Die Seelenpest
sich von ihm los. »Hat mein Vater Sie geschickt?«
»Oh nein, Mademoiselle.« Er machte eine tiefe Verbeugung. »Wissen Sie, warum es in England kalt ist? Weil die Engländer so gottlos sind. Ja, ich glaube, sie sind ungläubig. Sie glauben nur an Gott, wenn sie sicher sind, ins Paradies zu kommen. Es ist ein Geschäft für sie. Sie bieten Gott Geld und gutes Betragen und erwarten seine Gnade. Er rächt sich mit dem Wetter, angemessen, wie ich finde.«
Margaret war sprachlos.
Ihr Blick ging unruhig zwischen ihm und dem Holztor in der Mauer hin und her.
Der Fremde streckte ihr die Hand entgegen.
Margaret fuhr erschreckt zurück. Aus seinem Daumen wuchs eine Figur empor, ein kleiner Mensch, ein aufgestecktes Männlein, das einen roten Umhang trug und eine Mitra, es war ein Kardinal, perfekt gemacht in seiner Winzigkeit.
»Sie machen mir Angst, Sir.«
»Nein, sehen Sie! Es ist nur ein Fingerpüppchen.«
Er hob die andere Hand und Margaret wollte gar nicht glauben, was sie diesmal sah: ein zweites Püppchen, seine Kleider waren prächtig.
»Der König!«, hauchte sie.
»Heinrich Tudor«, bestätigte der Mann und sah sich um. »Vergessen Sie mich nicht! Und erzählen Sie Ihrem jungen Freund von mir. Ich kenne ihn. Ich kenne jeden.« Der Mann lachte. »Jetzt mögen Sie mich nicht mehr! Ich bitte um Verzeihung. Sie müssen gehen, selbstverständlich…«
Er verbeugte sich noch einmal, winkte mit der linken Hand und ging.
Margaret zitterte, ihr Herz schlug wütend. Diese Begegnung war sicherlich kein Zufall gewesen; der Fremde wusste viel zu viel von ihr und sogar Andrew! Jetzt sah sie, dass das Tor hinter ihr geöffnet war. Sie rannte hin. Raspale schimpfte leise. Er ließ sie schnell herein und schloss die Türe zu. Dann ergriff er ihren Arm und zog sie murmelnd durch den dunklen Garten bis zum Haus. Fast stolperte sie. Ängstlich flüsterte sie ihm zu, dass ihre Kleider schmutzig seien.
Durch eine Nebentür schlüpften sie ins Haus und schlichen ungesehen bis zur Wäschekammer, wo Raspale sich bekreuzigte und wegging und Margaret sich entkleidete, um frische Sachen anzuziehen.
L ADY A LICE FING IHREN E HEMANN gleich an der Haustür ab. »Du hast Besuch, Morland. Es ist dieser königliche Brautbeschauer, den du nicht leiden kannst. Ich finde ihn recht angenehm…«
»Weil er dir Augen macht«, maulte Thomas leise und ging an ihr vorbei. »Der Mann hat alle königlichen Pässe und Papiere. Ihn abzuweisen wäre sehr gefährlich. Aber deshalb muss man ihn nicht gleich verehren!«
Als Thomas das große Zimmer betrat, stand der Besucher mit vorgestreckten Armen da.
»Sir Thomas, ich begrüße Sie sehr herzlich. Ich heiße Aron Boggis, wir kennen uns nur flüchtig. Sind Sie gesund in diesen schweren Tagen?«
Thomas ließ seine Hände nehmen und schüttelte zurück.
»Ich bin Agent und in meiner Tarnung Besitzer einer Fähre mit vier Leuten, die für mich das Boot betreiben, wenn ich reise. Ich verdiene gutes Geld, ich bin kein Bittsteller. Sie dürfen mir vertrauen und müssen nicht erschrecken, wenn viele Dinge, die ich sage, eigentlich Interna sind. Meine Position berechtigt mich zu wissen, dass es in Kürze eine Kommission geben wird, in der Sie den Vorsitz führen. Dies nur zum Beispiel. Ich möchte Ihnen helfen, Sir. Ich biete Ihnen meine Dienste an. Ich bin ein Spezialist des Königs, ich verfolge, registriere und berichte an die höchsten Stellen. Ich kann berichten, dass ein gewisser Schüler sich, sagen wir, um Ihre Tochter kümmert…«
Lady Alice kam herein und stellte Blumen auf den Tisch. Thomas blieb förmlich, distanziert. Er setzte sich mit einem Seufzer, bot Boggis einen Stuhl an. Die Dame ging hinaus.
»Was heißt, er kümmert sich?«, fragte Thomas.
»Er ist höflich und geschickt. Er fordert sie heraus. Er liebt sie, Sir. Aber die Zeiten sind gefährlich, wie Sie wissen. Man findet tote Schüler mit naseweisen Briefen, in welchen vom Tode Gottes die Rede ist und von einer großen Leere in der Welt.«
»Was wollen Sie?« Thomas wurde ungeduldig.
»Ich biete Ihnen an, das Kind zu schützen. Es zu bewahren vor den Händen dieses Schülers. Diese Hände sehnen sich danach, Ihr jungfräuliches Kind…«
»Ich muss doch bitten!«, unterbrach ihn Thomas.
»Verzeihung, Sir. Wie ich schon sagte: Ich verfolge Menschen und ich sammle Wissen, Bilder, Orte und Gespräche. Der König lobt mich immer wieder. Er selbst ist interessiert, dass unsere gute Ordnung immer fest bestehen
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