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Die Seelenpest

Die Seelenpest

Titel: Die Seelenpest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Seidel
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tat die hundert Dinge, die ein jeder tat. Nur alles gleichsam herzlos. Am Abend war der Tag vergangen, und wenn er sich erinnerte, schien jeder Augenblick ihm leer.
    Bis auf die Male, die er Margaret traf. Bei ihr konnte er sich selber fühlen und verstehen. Mit Margaret hatte auch das Lernen einen Sinn, wenn er bedachte, dass er es für sie tat, für sie beide, für eine Zukunft, die sie teilen könnten. Aber wie dumm von ihm, an diesen Traum zu denken! Er fragte sich, wieso er Margaret überhaupt noch traf und wieso sie ihn beachtete, obwohl ihr Vater ihrer Freundschaft keinen Segen gab. Er hätte heulen können! Er spähte auf das Wasser, das grau und schwer die dunkle Stimmung noch verstärkte. Dann trat er einen Stein fort und spuckte in den Sand. Er sah zum Himmel, der ihm plötzlich leer erschien, mit seinen Wolken, die nur Nebel waren. Was, wenn kein Gott dort oben war und jedes Wort zu ihm in einem riesengroßen Nichts verhallte…?
    »Andrew!«, zischte Gregor und deutete aufs Wasser.
    Draußen auf dem Fluss löste sich ein Boot aus dem Gewimmel.
    Sechs Menschen saßen drinnen, einer ruderte. Alle waren dick vermummt. Jetzt konnte Andrew schon die Ruderschläge hören. Das Boot hatte ein Gepäckdeck, eine kleine Brücke mit einem niedrigen Geländer, über das die Körbe, Kisten, Säcke hoch hinausragten und das kleine Schiff sehr instabil erscheinen ließen. Es wankte hin und her wie ein Betrunkener, gefährlich tief und langsam.
    Der Ruderer versuchte, die Bewegungen mit seiner Körperlage auszugleichen, er war geübt darin. Fast jede Fähre wurde überladen und schon viele waren draußen in der Strömung umgeschlagen; dagegen halfen Öle, gewisse Rinden und gesegnete Oblaten, die von den Schiffern selbst vor Antritt jeder Reise den Passagieren zum Kauf empfohlen wurden.
    Das Boot berührte den Steg, der Fährmann warf die Leine auf den Poller und machte fest. Die Leute standen auf und kletterten nach oben. Andrew beobachtete jede Bewegung des Mannes, der jetzt die Schnüre des Gepäcks löste und die Teile an den Bug des kleines Schiffes trug, wo er sie schließlich auf die Schulter stemmte und an Land trug.
    Aus der Ferne hörte man den Lärm der Straßen und der Brücke, von wo das Echo der eisernen Wagenräder hoch über die Giebel der Brückenhäuser sprang.
    Gregor blickte Andrew an. Der Pate arbeitete im Boot. Das Wolkengrau zerriss an manchen Stellen und blaue Leere trat hervor. Andrew gab Gregor das verabredete Zeichen, dass er den Paten wirklich als den Mann erkannt hatte, der mit Clifford auf der Brücke gestanden hatte.
    Der Kerl rollte Taue auf, öffnete ein hölzernes Eimerchen mit Pech und kalfaterte das Dollbord und den Boden. Greg schlich jetzt näher heran, Andrew sah es und hätte ihn am liebsten gleich zurückgerufen.
    Der Pate kletterte an Land, lief schnaufend zu einem Schuppen, holte neues Werg und stieg ins Boot zurück.
    Gregor lauerte geduckt. Andrew ahnte, was ihm durch die Seele ging. Greg hasste seinen Paten, er hatte es vorhin erzählt. Dass er die Eltern schlecht behandelt hatte, und ihn selber auch; da waren Streit und Schläge mit im Spiel gewesen.
    Der Fluss war schwarz. Der Pate kehrte wieder. Ahnungslos, dass er belauert wurde.
    Andrew sah hilflos zu, wie Gregor von der Treppe in den Uferkies hinuntersprang und einen großen Stein nahm und damit seltsam spielte. Der Pate ging vorbei, die Schritte klopften auf das Pflaster. Gregor wandte sich ihm zu, blieb schräg hinter seinem Opfer stehen und wog den Stein in seiner Hand. Dann ließ er ihn fallen. Andrew war erleichtert. Der Pate ging zum Boot. Gregor hatte Tränen in den Augen, als er die Uferstraße hastig und mit geballten Fäusten überquerte.

10. K APITEL ,
    in welchem Puppen wie im Leben spielen
     
     
     
    Der Präzeptor Clifford selbst, sein Peiniger, hatte Charles Summers am Morgen im Hof des New Inn angehalten und in das Konvikt zurückgeschickt, wo alle Schüler wohnten. Vielleicht, weil es ihm peinlich war, dass andere sahen, wie sein Schüler nach der Bestrafung aussah und unter Schmerzen durch die Flure humpelte.
    Charles war ins Dormitorium gegangen und hatte sich aufs Bett gelegt. Der Saal war leer. Von ferne hörte man die Männer in der Küche, wie sie mit den Töpfen klapperten und sangen.
    Jetzt war er müde und schlief dennoch nicht. Die Frage, wieso Clifford ihn an diesem Morgen vom Unterricht befreit hatte, beschäftigte ihn weiterhin. Überhaupt hatte sich der Lehrer in ein rätselhaftes Licht

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