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Die Seelenpest

Die Seelenpest

Titel: Die Seelenpest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Seidel
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Junge dir getan, Morland? Weshalb dieser Hass nach so viel Jahren, bloß weil wir arm und ungebildet sind? Soll ich dir die ganze Wahrheit ins Gesicht schreien?«
    »Zur Ordnung, Angeklagter!«, rief der Schreiber. Dann verlas er weiter seinen Text. »Sie wurden ferner gesehen, als Sie am Puddle Warf erklärten, erstens, die Welt wäre besser bestellt, wenn Gott nicht seinen Willen auf sie richten würde. Dass, zweitens, der Papst geschickter sei im Feiern als im Beten. Drittens, der König Unzucht treibe mit seinem Narren Will Somers. Viertens, die Welt bald untergehen werde, was nur noch neunundneunzig Tage dauern kann… Es gibt genügend Zeugen für die Äußerungen. London, den zehnten April, anno Domini et cetera.« Der Schreiber lehnte sich zurück. Er griff in seinen Bart und durchkämmte ihn mit zitternden Fingern.
    Whisper lachte leise.
    »Lach nur, Johan Whisper!«, sagte Morland. Er horchte auf die Melodie der eigenen Stimme. Es war ihm unbehaglich, weil ihm schien, dass er sich selber riechen konnte.
    »Aha!«, machte der Gefangene. »Ich hatte also Recht, du bist es, Morland. Ich bin sowieso schon tot, ich will dich sehen! Wieso muss ich auf die Wand starren, ist das eine zusätzliche Folter?«
    »Sei still!« Morland spuckte auf den Boden.
    »Oh nein, Sir!« Whisper schüttelte den wirren Schopf. »Ihr sucht bloß einen Schuldigen für diese toten Schüler. Ich habe nichts damit zu tun!«
    Morland stand dicht hinter Whisper. »Reiz mich nicht, du Strolch!«
    Whisper lachte bitter. »Was ist passiert damals, als deine Jane starb, die Schwester meiner Frau? Hast du verstanden, Maxim? Schreib es auf! Was war das eigentlich für eine zügellose, goldene Liebe…?«
    Morland holte blitzschnell aus und schlug zu. Whisper stürzte auf den Boden.
    Der Blutknecht nickte gemütlich und zog die Nase hoch. »Soll ich?«, fragte er.
    »Später«, sagte Morland.
    »Ah!…«, machte Whisper von unten herauf. »Er hat nicht mal das Zeug, sein Opfer sterben zu sehen, das kann er nicht. Dazu gehört was Besseres als reine Bildung: Da muss man nämlich wissen, wer die Schuld hat und wer nicht. Zu schwach, der gute Morland! Wenn das der König wüsste! Der hat noch nie gezögert. Hört nur, wie er schweigt, der große Ritter Morland! Wie er sich windet innerlich!«
    »Whisper!«, schrie Morland, holte mit dem Fuß aus, so weit er konnte, und trat mit aller Kraft zu.
    Der Gefesselte wand sich vor Schmerz. Thomas begriff allmählich, was er tat. Er hob den Lehnstuhl auf und setzte sich.
    »Schreib’s auf, Maxim!«, flüsterte Whisper mit letzten Kräften. »Schreib auf, was er mir tut, damit es alle wissen! Wir sind verschwägert, Morland und ich! Er hat die Schwester meiner Frau geehelicht, Jane Colt, die älteste der drei Schwestern. Meine Sandra war die mittlere und schöner als Jane, weiß Gott. Er hat sie auch geliebt, der Schuft. Frisch aus dem Kartäuserkloster kam er damals… Schreib’s auf, Maxim! Alle sollen es lesen können…!«
    Morland saß zusammengesunken da. Der Schreiber wurde rot vor Angst und vor Verlegenheit. Whisper lag auf der Seite und versuchte Morland, seinen Peiniger, zu sehen.
    »Schreib auf, Maxim! John Colt, Janes und Sandras Vater, hatte mich im Sommer 1504 zu sich gebeten. Morland kam erst im Oktober, nachdem ich um meine Sandra angehalten hatte. Er tat, als gebe es mich nicht, als sei er der klügste Mensch auf Erden, stolzierte frech im Haus herum und ließ Jane und ihre jüngste Schwester achtlos sitzen und bemühte sich um meine Sandra. Um meine Sandra! Schrieb ihr Gedichte, wob sie ein mit süßen Worten, während ich fernab und – nichts ahnend unsere Heirat vorbereitete. Ich habe John Colt nie etwas davon erzählt, zumal Morland später Jane zur Frau nahm, mit der Begründung, er habe freiwillig auf Sandra verzichtet, um die Älteste, um Jane nicht zu verletzen!« Er spuckte Blut.
    Thomas war vor Scham wie gelähmt. Die Glieder schmerzten, sobald er sich bewegte.
    »Hast du nicht Angst, dass ich dich töten könnte?«, fragte er leise.
    Johan Whisper lachte nur gequält. »Hörst du, Maxim? Schreib das auf, damit die Menschen noch in tausend Jahren lesen, wie tief im Guten immer auch das Böse tätig ist!«
    Morland wühlte in Gedanken. Er musste lügen. »Du bist vom Neid zerfressen, Whisper, das ist alles. Wie niedrig muss man kriechen, wenn man andere auf diese Weise mit Lügen beschmutzt, in der dummen Hoffnung, dass es wie Pech und Schwefel kleben bleibt? Ich war nah daran,

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