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Die Seelenpest

Die Seelenpest

Titel: Die Seelenpest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Seidel
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Milde walten zu lassen. Jetzt nicht mehr, du hast es dir verscherzt.«
    »Morland!«, rief Whisper. Er hatte sich am Boden ein Stück aufgerichtet. Schweiß und Blut verklebten sein Gesicht. »Du bist hier der Hundsfott und du weißt es sehr genau!«
    Thomas fühlte, wie der Boden sich bewegte. »Schlag ihn jetzt tot!«, sagte er halblaut und streifte den Knecht mit einem Blick. »Nein, besser nicht. Bring ihn zurück zum Ungeziefer, wo er hingehört. Pass auf, Whisper! Meine Margaret ist aus purem Gold, dein Junge ist nur ein Stück Blech, aus dem man Töpfe treibt. Sie passen nicht zusammen. Gott ist mein Zeuge!«
    Er rang mit Übelkeit, der Magen schmerzte. Er biss die Zähne aufeinander und gab dem Knecht ein Zeichen. Der Blutknecht zog den Gefangenen vom Boden hoch. Der Schreiber kratzte mit der Feder und streute Sand auf das Papier.

18. K APITEL ,
    worin der Teufel schamlos spricht
     
     
     
    Margaret wischte sich die Augen trocken. Ihr rechter Arm schmerzte bei jedem Sprung der Sänfte. Beide Fenster waren von außen zugehängt, die Tür verriegelt. Sie saß in einem hüpfenden Gefängnis und ihre Angst war übermächtig.
    Die Träger spuckten laut und fluchten.
    Sie liefen schneller als gewöhnlich. Jemand trieb sie an, damit sie sich beeilten. Margaret versuchte, etwas durch die Fenster zu erkennen. Der Stand der Sonne, die manchmal durch einen Spalt des Sänftenhimmels fiel, verriet ihr, dass der Weg nach Westen führte.
    Als man sie vorhin überwältigt hatte und in die Sänfte zwang, hatte es gleich hinter ihr viel Lärm und eine Rauferei gegeben, sie hatte einen Schrei gehört. Als ob Andrew sie gerufen hätte. Der Gedanke war bestechend schön und zugleich schrecklich, dass er, ihr Held, ihr Ritter und Soldat, sich vor den Feind geworfen hatte!
    Ihr wurde übel. Sie beugte sich nach vorne und schlug mit aller Kraft gegen die dünne Holzwand.
    »Anhalten! Sofort stehen geblieben! Ich verlange es! Ich befehle es! Ich bin Margaret Morland und werde meinem Vater sagen, wie man mit mir verfährt!«
    Die Sänfte wurde langsamer, die Träger blieben stehen. Sie setzten ab.
    Margaret konnte hören, wie sie hechelten. Dann kamen Schritte näher. Ein Fenster wurde plötzlich hell und frei.
    »Madame?«
    Sie blickte hinaus. Ihr Herz blieb einen Augenblick lang stehen.
    Es war der Fremde, Aron Boggis, der Mann mit den Fingerfiguren.
    Er lächelte. »Sie werden sicher schon alles vermutet haben… Natürlich. So klug wie Sie ist niemand. Ihr guter Vater war nicht eben geizig, als es hieß, Sie zu beschützen. In Schutz zu nehmen vor… einem jungen Mann, der… Wie Recht er hatte! Was daraus hätte werden können! Nicht auszudenken, oder?« Er schloss die schönen, dunklen, ein wenig schräg stehenden Augen. »Wenn es mir gestattet wäre, ich glaube, ich könnte Sie, Miss Margaret, genauso wie dieser dumme Junge… lieben. Also!«, rief er den Trägern zu und verschloss das Fenster. Die Sänfte wurde hochgehoben.
    Margaret riss ein Tuch aus ihrer Tasche und hielt es sich vor den Mund. Sie blutete! Das Blut kam aus der Nase. Es schmeckte süß. Sie warf den Kopf nach hinten. Sie ergab sich, hatte keine Kraft mehr. Nie hätte sie gedacht, dass ihr Vater jemals so herzlos mit ihr werden könnte.
    Als dieser Fremde vorhin die Fensterblende hochgehalten hatte, hatte sie ganz kurz Whitehall gesehen. Man brachte sie also nach Westminster. Zum Vater, zu Thomas, der alles wusste. Alles. Sie hatte Angst vor seinem Blick, vor der Gekränktheit und der unendlichen Enttäuschung, die er jetzt empfinden musste. Nach dem, was sie verbrochen hatte, gerade eben noch! Der Kuss!
    Und dennoch! Sie würde zu ihm sagen: Es ist zu spät, Vater! Und dann würde sie noch einmal Andrews Kuss auf ihren Lippen fühlen.
    Was würde Thomas tun? Sie aus dem Haus verweisen, sie zwingen, nach Chatham zu gehen, ins Kloster zu den Karmeliterinnen? Irgendwann einmal hatte er damit gedroht, nicht ihr, sondern ihrer Schwester Cecily, als sie noch klein war und mit John im Garten auf der Wiese lag und sie sich gegenseitig mit Halmen an den Armen kitzelten.
    Thomas verabscheute den Körper. Der Leib, erklärte er, ist nichts als Hülle, Fleisch, das verfällt, und das Vehikel aller Sünden sowieso. Margaret wusste, dass Thomas seit seinen Klostertagen, zur Buße wohl, ein raues Hemd am Leibe trug, das dauernd wehtun sollte. Sie wünschte ihm, dass Gott es gern sah. Aber sie wünschte sich genauso, dass Gott den Kuss auch gerne sah. Andrew hatte sie

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