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Die Seelenpest

Die Seelenpest

Titel: Die Seelenpest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Seidel
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seinen Augen, es roch nach Blut. Er spuckte. Der Boden senkte sich, als liege er auf einem großen, hart gespannten Tuch, das unter ihm auf einmal nachgab und zerriss…

17. K APITEL ,
    in welchem schwere Zeiten wiederkehren
     
     
     
    Thomas Morland hatte Johan Whisper aus dem Kerkerkeller in die Büros heraufbringen lassen, weil er selbst den Keller nicht vertrug, die kalte, nasse Luft, das schlechte Licht, den Schimmel an den Wänden, die Ratten und das Ungeziefer. Zwar war es nicht erlaubt, Gefesselte in die Kontore heraufzulassen, aber wer, wenn nicht er selbst, war in der Lage, solche Regeln zu missachten?
    Der Gefangene kauerte auf einem Hocker, die Hände hinterrücks gefesselt, ebenso die Füße, mit derben Lederriemen festgeschnürt. Der Blutknecht wusste, was er tat. Whisper saß mit seinem Blick zur Wand, in eine fensterlose Ecke schauend, in der nur ein paar Kisten und Foliantenschränke standen.
    Morland hatte das Zimmer erst betreten, als Whisper schon auf dem Hocker saß. Er wollte nicht von ihm gesehen werden.
    Der Blutknecht dämmerte in einer Ecke. Der Skribent hatte auf einer Bank am Fenster Platz genommen und führte Protokoll.
    Morland fühlte sich sehr unwohl. Es war ihm immer peinlich, Gefangene zu verhören. Und diesmal war es umso schlimmer, als dieser Trunkenbold dort saß: der Vater dieses dreisten Bengels, der Margaret in sein Fischnetz locken wollte, der gestrauchelte Herr Rathausschreiber Whisper, den er, Thomas, weiß Gott nicht leiden mochte. Weil er ihn kannte. Seit langem schon.
    Morland spuckte aus.
    Dass Johan Whisper in seiner Kindheit erst im Lesen, später auch im Schreiben unterrichtet worden war, hatte sich als Segen, aber auch als Fluch erwiesen.
    Geboren wurde er in Holland. Der Vater war ein schottischer Söldner gewesen, seine Mutter eine Amsterdamer Wäscherin mit weichen Händen und großen Ohren, die ihr wie Fittiche vom Kopf abstanden.
    Weder der Vater noch die Mutter waren des Lesens mächtig, wohl aber ein Bewunderer der Mutter, dessen Liebe zu der ehelosen Wäscherin so selbstlos war, dass er sich Johans mit beinah väterlicher Liebe annahm. Dem ehemaligen Söldner war’s egal.
    Der Bewunderer war ein Landvermesser. Vielleicht war es Enttäuschung über seinen eigenen Sohn, der im Begreifen langsam war. Johan dagegen fasste flink und dankbar auf, hatte eine begabte Zeichenhand und las mit sechs Jahren schon die Sprüche Salomons fehlerfrei und zügig seiner Gastfamilie vor. Seine Eltern misstrauten allen Büchern, mit Ausnahme der Bibel, weshalb sie Johan zu seinem Förderer gehen ließen, zumal sie selbst nicht einmal ein gemeinsames Zimmer fürs Familienleben hatten. Wenn sie hingegen Johan mit einem – Blatt Papier erwischten, das er manchmal von seinem Gönner als Geschenk erhielt, so nahmen sie es ihm weg und tauschten das Papier beim Krämer gegen Mehl und Eier ein.
    Johan spielte nicht wie andere Kinder. Er malte mit den Fingern Buchstaben in den Sand. Sein Vater schnitzte Lanzen, Pfeil und Bogen für den Sohn und übte ihn im Kämpfen; fürs Leben, sagte er. Bei einem dieser Spiele – Johan wurde gerade neun – fuhr dem Vater der Leibhaftige in den Sinn. Er erstach zwei Schweine und fünf Gänse und hörte nicht zu rasen auf, bis ihn ein Bauer mit einem großen Stein am Kopf traf. Drei Tage später war der Vater tot.
    Von da an lebte Johan eine Weile ganz in der Familie jenes Landvermessers und lernte weiter rechnen, schreiben und sogar Latein. Mit dreizehn reiste er nach England, kam in die Lehre eines Forstverwalters, der sich um die Ländereien eines Grafen kümmerte, der viel auf Reisen war. Johan verdiente Geld, und als er achtzehn wurde, empfahl der Graf ihn einem Gentlemen mit Namen John Colt aus Netherhall in Essex an. Colt wollte seine drei Töchter verheiraten und lud neben anderen Johan Whisper zu sich ein. Das war im Jahre 1504 geschehen.
    Johan verliebte sich auf Anhieb in die mittlere der Töchter, heiratete sie und zog nach London, wo er die kleine, aber trockene Wohnung eines Marktschreibers bezog. Er fand Anstellung im Rathaus. Bald schenkte seine Frau ihm einen Sohn, den sie Andrew taufen ließen und der zehn Jahre lang behütet aufwuchs. Bis seine liebe Mutter jäh erkrankte, schwer, erst sechsundzwanzig Jahre alt. Sie aß nicht mehr, sie wurde totenbleich und ihre Haut zerfiel wie Laub. Johan betete. Er weinte, schrie und schlug sich aus Verzweiflung in den Kneipen. Die Oberen ermahnten ihn. Er bezwang sich eine Weile, bezahlte

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