Die Seelenpest
sinnlos Ärzte, Bader, sogar Hexen, und niemand glaubte ihm so recht, wenn er beteuerte, sich umzubringen, falls seine Frau und Andrews Mutter in den Himmel ginge. Die Arme wurde immer schwächer. Johan pflegte, wusch sie, als wäre sie ein Kind. Er bettelte zu Gott, dann fluchte er auf alle Heiligen und drohte laut, sich allen Teufeln zu verschreiben. Die Kranke starb in seinen Armen und riss sein gutes Herz mit in den Tod. Von da an trank Johan Whisper, ging zum Glücksspiel und verspottete die Heiligen, so sehr, dass selbst sein Sohn ihm auf der Straße auswich.
Das alles wusste Morland und sein Gewissen plagte ihn.
Vor allem dachte er an Margaret, deren Mutter eine von John Colts Töchtern gewesen war, um die sich auch der Trunkenbold beworben hatte. Sie waren also irgendwie verschwägert! Und was das Schlimmste war: Der Sohn wusste, dass sein Vater in Gewahrsam war und dass er, Sir Thomas Morland, das Verhör vornahm. Er wollte ihn erpressen, dieser Bengel, ihn, den Ritter Morland! Es war zum Lachen, nein, er hätte sich an Ort und Stelle übergeben können! Er wollte einfach nicht, dass dieser Andrew Whisper irgendwann die Hand an Margarets Scham zu legen wagte, und deshalb würde er den Vater prügeln, um ihn, den Sohn zu treffen, wie sehr perfide das auch war.
Der Gefesselte drehte den Kopf, pfiff durch die Zähne. »He, Maxim, sag mir, was hier passiert!«
Der Schreiber reagierte nicht. Natürlich kannte er den Angeklagten aus der Zeit, als dieser noch den Posten eines Rathausschreibers innehatte.
»Maxim! Maxim!«
Der Skribent schielte kurz in Morlands Richtung und begann laut vorzulesen.
»Johan Whisper aus Deventer, Sie sind an dieser hohen – Stelle am fünften Tag nach Palmsonntag im Jahr des Herrn 1521 des Verstoßes gegen die Sitten angeklagt, im Weiteren der Gotteslästerung in vierzig Fällen, für die es neunzehn Zeugen gibt, die das Gericht namentlich erfasst und ordentlich vernommen hat…«
»Du brauchst mich nicht zu siezen, Maxim. Was ist los mit dir?«
»Sie werden jetzt und hier verhört, um Ihre Schuld oder Unschuld zu bekunden.«
»Maxim!… He!« Whispers Stimme rollte heiser. Sie machte, dass man sich selber dauernd räuspern wollte.
»Wir kennen uns kein bisschen, Sir«, flüsterte der Schreiber, sah Morland an und versank sofort wieder in seinen Papieren.
»Wie meinst du das, Maxim?«, rief Johan Whisper. »Mit wem redest du?«
»Sie werden beschuldigt«, verlas der Schreiber weiter, »am zweiten Tag nach Palmsonntag in der Nacht für alle hörbar gerufen zu haben, dass unser Gott der Herr uns nicht erkenne, mit der Begründung, es sei Gottes Wille, dass der Mensch mit Fehlern und Versündigungen behaftet sei, damit Gott selber sie verzeihen könne.«
»Falsch!«, rief Whisper. »Alles erlogen! Wer sitzt dort hinter mir und wagt nicht, mir sein Gesicht zu zeigen?«
»Sei still!«, befahl der Schreiber.
»Maxim! Maxim…!«
Morland machte Fäuste. Die Wut blähte seine Venen an den Schläfen auf.
»Ich will mich umdrehen!«, schrie Whisper. »Ich weiß schon, wer es ist! Die Feigheit, die Verlogenheit in Person! Sir Thomas Morland…!«
Morland machte mit der Hand ein Zeichen. Ein untersetzter Kerl kam aus der Ecke und ging mit festen Stiefelschritten auf den Gefesselten zu. Der duckte sich sofort.
Der Blutknecht griff Whisper fest ins krause Haar und riss mit großer Wucht den Kopf nach hinten, bis es knackte.
Whisper schrie vor Schmerzen.
»Johan Whisper«, begann der Skribent von neuem.
»Sie haben betrunken gegen alle guten Sitten verstoßen und werden in der Folge dem Newgate Prison überstellt…«
»Ihr habt euch gegen mich verschworen!«, schimpfte Whisper und spuckte in die Luft.
Der Knecht zerrte seinen Kopf noch tiefer in den Nacken.
»Morland! Du Teufel! Er ist es doch!«, schrie Whisper heulend. »Er hasst mich, weil wir Schwäger sind und weil er meinen Sohn hasst, und meinen Sohn hasst er bloß meinetwegen…« Er schrie wieder vor Schmerzen, die ihm der dunkle Knecht zufügte.
Thomas war aufgestanden, das Herz schlug ihm wild bis in den Hals hinauf. Er fühlte sich gelähmt, unfähig, sich zu wehren, so als stünde Gott auf Whispers Seite! Was musste bloß der Schreiber von ihm denken! Was würde er den anderen erzählen?
Wütend trat er den Lehnstuhl um, der krachend vor die Wand flog. Der Blutvogt ließ erschreckt von Whisper ab und starrte blöde her.
Der Gefesselte bewegte den Kopf, stöhnte laut und schüttelte sich. »Was hat mein
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