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Die Seelenpest

Die Seelenpest

Titel: Die Seelenpest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Seidel
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als er ihr entgegenkam. »Was hast du vor?«
    »Ich habe nichts vor«, sagte er gereizt. »Lass dich überraschen!«
    »Also doch!«, antwortete sie. »Kann ich dir helfen, etwas für dich tun?«
    »Oh ja. Sei einfach still!« Er schob sie rüde weiter.
    Sie schob die Unterlippe vor, beugte sich zu ihm und sagte leise, so dass nur er es hörte: »Du siehst aus, als hätte Gott dich arg bestraft… oder ganz verlassen.«
    Er wurde kreideweiß, die Lippen waren grau.
    »Das würde dir so passen!«, zischte er. Dann ließ er die flache Hand auf den Tisch fallen, dass es klatschte. Alle blickten her, erschreckt, verwundert.
    Er war das Zentrum. Die Kinder blickten hin. Die Mägde schlichen aus dem Zimmer. William Gills hüstelte. Es wurde still. Morland lauerte, ließ Zeit verstreichen. Nur Raspale, der mit dem jungen John Clement in einer Ecke saß, blätterte weiter in einem großen Folianten, der voller Greife war und Riesenschlangen, die in China und in anderen grausig fernen Ländern lebten.
    »Du vertraust auf Gott«, stellte Raspale leise fest.
    Der Junge nickte.
    »Dann lass dir ja nicht sagen, der Herrgott sei nicht, es sei nur Leere in der Welt. Das stimmt nicht. Diese Tiere sind Phantasterei, aber weil sie Phantasie sind, die nur der Mensch hat, gibt es Gott im Menschen. Gott im Menschen ist wichtiger als in der Welt.«
    »Hör auf damit, Raspale!«, befahl Morland harsch. »Es gibt andere Neuigkeiten.«
    Er zog alle Blicke auf sich.
    »Heute Morgen wurde ein Präzeptor des New Inn halb totgeschlagen aufgefunden, draußen im Norden vor der Stadt. Die Spuren zeigen einen Überfall, sein Pferd wurde gestohlen. Man verdächtigt Schüler, die heute weder zum Gebet noch zum Unterricht erschienen sind.«
    Margaret legte ihre Hand an ihren Mund.
    »Wir sind nach diesem Ereignis streng ermahnt, uns auf Distanz zu diesen Menschen zu begeben«, redete er weiter. »Andernfalls geraten wir selber schnell in diesen grauenvollen Sumpf, aus dem sich niemand retten wird. Das Leben dieser Schüler ist verpfuscht. Halbe Kinder noch, es ist entsetzlich. Man hätte früher und entschiedener handeln sollen, insofern fühle ich mich in gewisser Hinsicht schuldig. Aber wie hätte man es ahnen sollen, wenn diejenigen, die es vorher wussten, beharrlich schweigen?« Er sah Margaret wieder an.
     
     
    S IE WAGTE KAUM ZU ATMEN . Er verurteilte sie! Hier vor allen Menschen, die sie liebte! Er glaubte, dass Andrew sie unterrichtet habe. Wie kam er bloß darauf? Sprach er selbst denn je mit Lady Alice über seine Arbeit, über die Prozesse, über Politik?
    »Es tut uns Leid«, setzte der Vater hinzu und ging um den Tisch herum zu seinem Platz am oberen Ende. Dort blieb er stehen, den Blick gesenkt, der Rücken war ganz krumm, als trüge er die Balkendecke auf den Schultern. Er schüttelte den Kopf.
    Margaret hatte neben Raspale Platz genommen. Er legte seine Hand auf ihren Unterarm, spielte mit den Fingern an dem schweren, warmen, dicht bestickten Stoff.
    »So schwer, der Hölle auszuweichen, den Himmel zu erreichen…«, flüsterte er und fügte ein paar schmückende Apostelnamen hinzu.
    »Raspale?«, rief der Vater, der es bemerkte.
    »Verzeihung, Sir!«, entgegnete der Alte.
    »Er tröstet mich!«, erklärte Margaret.
    Raspale legte den Bilderfolianten beiseite und schlug stattdessen eines seiner eigenen Bücher auf, auf dessen Seiten nichts als Libellenflügel eng versammelt hafteten.
    Die Flügel stellten vielfältige Blütenformen dar, Schneeflockensternenmuster, gläserne Rosetten. Er legte das große Buch für alle sichtbar auf den Tisch. Alle reckten die Hälse und drückten ihr Erstaunen aus. Eigentlich wusste jeder, dass Raspale Insektenflügel sammelte, aber den wenigsten hatte er gestattet, die umfangreiche Sammlung anzuschauen, die allen ebenso verrückt und sinnlos wie phantasievoll vorkam.
    »Wir danken dir, Raspale«, sagte Thomas. »Wir freuen uns darüber.«
    »Haggai, Haggai«, bedankte sich der Alte und verneigte sich. »Hierin ist die Rettung, Sir.«
    »Für wen?«
    »Für die gestrauchelten und verfolgten armen Schüler, Sir.«
    »Du mit deinem Traum vom Fliegen. Man möchte es ihnen beinah gönnen«, sagte der Vater. »Dennoch bin ich gezwungen, uns zu schützen, das Haus und die Familie, und eine wichtige Entscheidung für alle bekannt zu machen.« Er hustete, holte ein Tuch hervor und tupfte sich auf Stirn und Wangen.
    Die Magd hatte Dünnbier hereingetragen und schenkte ein. Thomas trank ausgiebig.
    »Um Schaden

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