Die Seelenpest
einerlei.
»Jetzt auf die Zukunft!«, rief er Gills zu und hob sein Glas. »Mein neuer Sohn…!«
Gills nickte artig und hatte nichts begriffen. Dabei war er ein brillanter Kopf, ganz zweifellos. Er nickte, hoffärtig, und das war seine Pflicht, es entsprach der Abmachung zwischen ihnen. Er, Thomas, hatte es sich von ihm in die Hand versprechen lassen, weitsichtig eben, und doch mit Schmerzen im Gemüt. Er hatte ihm gestanden, was passiert war, ihn ins Vertrauen gezogen, an sich gebunden sozusagen mit dem Geständnis jener Peinlichkeit, dass Johan Whisper in Newgate Prison umgekommen sei. Ein Unglück eben. Nur gut, dass man das Anwaltsschreiben hatte, von Gills selbst verfasst: dass bei den Verhören in Westminster nichts Ungesetzliches geschehen sei und alles rechtens ohnehin… et cetera. Die Weiber werden so was nie verstehen!
Er trank, es schmeckte nicht. Er hasste Alice. Jetzt hasste er sie von ganzem Herzen, für ihre Blicke, für ihre ekelhafte Lauterkeit, mit der sie ihn verfolgte wie der Fuchs den Hahn, der sowieso den Kamm verlieren wird. Er hasste sie und nahm sich vor, sie später, wenn die Gelegenheit sich bot, zu schlagen – und wenn sie ihrerseits, wie schon so oft, die Hand erhob, um sich zu wehren, würde er der Stärkere sein, endgültig, damit sie lernte, dass ein Eheweib den Ehemann zu respektieren hat!
M ARGARET TAT IN DER N ACHT kein Auge zu. Sie wälzte sich umher und hörte immer wieder Thomas’ Worte. Sie konnte gar nicht fassen, dass er so grausam zu ihr war. Für Stunden dachte sie daran, davonzulaufen, um sich von allen Zwängen zu befreien und um für immer bei Andrew zu bleiben, egal mit wie vielen Entbehrungen es verbunden wäre. Sie würden sich verstecken und ungesehen aus der Stadt gelangen müssen. Vielleicht nach Osten, wo Schiffe lagen, auf denen man nach Frankreich reisen konnte. Dann sah sie ein, wie töricht die Gedanken waren. Es war nur die Verzweiflung und die bedrückende Ausweglosigkeit.
Noch tiefer in der Nacht versuchte sie sich vorzustellen, dem Willen ihres Vaters zu entsprechen. »Mrs. Margaret Gills«, sagte sie ein paar Mal leise vor sich hin und musste wieder weinen. »Mrs. Margaret Whisper«, setzte sie hinzu, nur um den Klang zu hören, und dachte an das Häuschen aus Zweigen, das Andrew für sie gebaut hatte – für sie beide, für ihr Leben, für ihre Liebe, die aber jetzt verloren war.
Wie sehr auch William Gills ein guter Ehemann sein mochte, er war zu alt und hatte ungepflegte Hände. Es tat ihr weh, sich vorzustellen, mit ihm das Ehebett zu teilen. Ihm würde es gefallen, er würde sie sofort berühren, küssen wollen, das spürte sie, wenn er in ihrer Nähe war. Von Lady Alice wusste sie, dass eine Ehefrau es sich gefallen lassen musste, jederzeit, und dass es die Verpflichtung gab, den Eindruck zu verschaffen, dass jedes männliche Begehren rechtens sei. Vor diesen unbekannten Dingen hatte sie die meiste Angst, noch mehr als vor dem Kinderkriegen. Wie sollte sie die Lippen William Gills’ küssen, die unter seinem dichten Bart verborgen lagen? Schon der Gedanke daran war so schlimm, dass es ihr fröstelnd durch den Körper lief.
Der Morgen graute, die Spatzen machten Lärm. Margaret stand auf und wusch sich das Gesicht. In Hof und Garten begannen die Mägde mit der Arbeit, als ob nichts Wichtiges geschehen sei. Dabei war nichts mehr wie vorher.
Sogar das Sonnenlicht sah anders aus, die Luft roch säuerlich und auch das Rot der Buchen leuchtete mit einem Mal bedrohlich. Sie warf sich eine Decke über und blieb am Fenster sitzen, bis Lady Alice sie zum Frühstück rief.
28. K APITEL ,
worin der Teufel in die jugendliche Seele fährt
»Ich will, dass du mir was vortanzt, Junge!« Der Mann blickte ihn so freundlich und vertrauenswürdig an, dass Charles einen Moment lang gar nicht glauben konnte, was er verstanden hatte.
»Tanz mal ein bisschen!«, wiederholte Aron Boggis und verschränkte die Arme vor die Brust.
Er hatte Charles gleich vor der Schule abgefangen. Auch dabei seltsam freundlich. Er könne ihm durchaus vertrauen. Er habe auch ein wenig Geld für ihn, wenn er ihm helfen würde, unten bei den Booten.
Jetzt standen sie in einem Schuppen, der den Fährleuten als Werkstatt diente. Ein Öllicht brannte. Töpfe mit Pech und Farbe standen zu Dutzenden herum. Es roch nach Teer. In den Regalen lagen Raspeln, Hobel, Stecheisen, alles, was man brauchte, um einen altgedienten Schiffsrumpf abzuziehen, zu reinigen und
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