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Die Seelenpest

Die Seelenpest

Titel: Die Seelenpest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Seidel
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übergab er sich und wollte gar nicht glauben, was geschehen war. Er weinte, fühlte sich so hilflos wie noch nie. Wohin sollte er sich wenden? Wem konnte er vertrauen? Er war verloren, so gut wie tot, außerhalb der Stadt, im Elend. Er betete. Herrgott, jetzt, wo ich ein Mörder bin, wirst du mir deine Gnade nicht mehr schenken. Aber ich bin ich! Verzeihe mir! Ich habe mich verloren… Er grub die Hände in den Lehm, rieb ihn sich kräftig ins Gesicht, bis in das Haar. Er fand Ruß und schwärzte sich die Hose, die Jacke, bis er kaum mehr zu erkennen war. Er steckte Zweige in die Mütze, Blätter, Gras und Moos, bis er ein Waldgeist war, ein wilder Mann, vor dem die Kinder schreiend flüchten würden.
    Er warf dem Pferd die Decke über, stieg auf und schnalzte. Die Stute hob den Kopf.
    Der Himmel wurde heller, tiefe Wolken jagten hin. In der Ferne duckten sich die Dächer von Islington, er sah dort Bauern in die Felder gehen, sie blickten her, deuteten auf ihn und redeten. Er kehrte ängstlich um und ritt in Richtung Stadt zurück, um die verbleibende Zeit zu nutzen, bis man den Lehrer tot am Waldrand finden und die Hunde sammeln würde. Wenn er es schaffte, in die Stadt zu kommen, hatte er die Chance, die alten Klostermauern von Whitefrairs, St. Martin’s le Grand oder ein anderes Asylum zu erreichen, wo Mörder, Huren, Diebe sich von alters her der städtischen Gerichtsbarkeit entziehen konnten.
    Das Aldersgate war frühmorgens außen unbewacht. Am inneren Tor dösten ein paar Söldner. Eine Ziegenherde zwängte sich mit Lärm und Dreck nach draußen. Die Hunde kläfften, die Hirten schrien. Andrew stieg vom Pferd und wartete im Schatten einer Hecke, unsicher, wie er sich verhalten sollte. Als das Tor frei war, ging er näher heran.
    In den Tollkisten und Irrenhäuschen, die außen an der Stadtmauer standen, war schon Trubel. Hier lebten die Verrückten, Narren, Schwermütigen, teils mit langen Lederriemen festgebunden, teils hinter Gittertüren, winkend, johlend, singend. Auch in den Mauertürmen wohnten Irrgewordene, Tanzsüchtige, Werwölfe, lagen nackt auf Stroh. Sobald sie Andrew sahen, so wie er sich mit Laub und Lehm verunziert hatte, schrien und pfiffen sie ihm zu und spuckten um sich.
    Er ging weiter auf das Tor zu, hielt die Stute an und zögerte, schritt weiter, bis ein Soldat herauskam. Andrew grüßte und bemühte sich, seine Stimme tief und männlich klingen zu lassen. Der trockene Lehm juckte im Gesicht und in den Haaren.
    Der Soldat betrachtete die Stute. »Sie scheint nicht sonderlich gesund, und du siehst aus, als kämst du aus der Hölle.«
    »Aus Oxford.« Andrew blickte müde. »In der Nacht hat es das schlimmste Unwetter gegeben, das ich je erleben musste. Hat es noch kein anderer erzählt, der aus der Gegend kam?«
    »Du bist der Erste heute Morgen.«
    »Die Stute ist erkältet und hat mich abgeworfen.«
    »Beruf?«, fragte der Mann.
    »Buntmachergeselle aus Tewkesbury, das Pferd gehört der Meisterin. Übermorgen reite ich zurück. Ich habe eine Nachricht für John Hall, Kürschnermeister in Water Mark.«
    Der Torwärter strich den Pferdehals. »Bloß nicht zu viel Hafer, wenn sie schon so röchelt. Ein bisschen Schlempe oder ein paar Früchte…«
    Der Mann wies Andrew den Weg durchs Tor, gab seinen Kumpels Zeichen, ihn in die Stadt zu lassen.
    Andrew ging in die Foster Lane, passierte St. Pauls und gelangte durch dunkle Nebengassen bis zum Fluss, wo er sich wusch. Dann brachte er die Stute nach Steelyard, wo Charles Summers’ Oheim mütterlicherseits eine Schmiede hatte.
    Der Onkel kannte ihn. Andrew schwindelte, dass es die kranke Stute eines Lehrers sei, der auf seinem Weg nach Ealing nach einem bösen Sturz bei einem Arzt in Whitehall liege. Charles sei bei ihm, um andere Dinge zu erledigen, während er, Andrew, gebeten worden sei, das Pferd zurückzubringen, den weiten Weg bis Deptford. Hier, kurz vor der Schmiede, hätte sich die Dämpfigkeit der Stute eingestellt.
    Der Onkel glaubte Andrew. Er ließ das Pferd in seinem Stall versorgen und gab Andrew den Schlüssel zu einer abgelegenen Kammer, um sich dort auszuruhen.
     
     
    N ACH DEM E RWACHEN schlich er sich aus der Schmiede, ging zum New Inn, legte Vogelfedern in gewisse Astgabeln und Steine in Mauerlöcher am Konvikt. Es war eine alte und bewährte Zeichensprache, die sie als Kinder schon verwendet hatten, um sich wortlos zu verständigen.
    Es war schon über Mittag. Andrew hatte sich entschlossen, das Haus des Kutschers

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