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Die Seelenpest

Die Seelenpest

Titel: Die Seelenpest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Seidel
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Und ob! Ich denke, es wird kein Jahr vergangen sein, seit es zum ersten Mal geschehen ist.«
    »Bitte nein, Sir!«
    Charles hatte den Blick gesenkt, er wagte nicht, den Fremden anzusehen.
    »Soll ich es dir erklären, Charles? Willst du wissen, was an diesem unheilvollen Tag geschehen ist?«
    Der Junge reagierte nicht.
    »Sieh mich gefälligst an, wenn ich mit dir rede! Ich werde langsam wütend!« Der Mann hatte plötzlich einen harten Mund. Blitzschnell fasste er Charles an der Schulter und stieß ihn gegen einen Schrank. Töpfe und Schachteln klapperten.
    »Na?«
    »Verzeihung, Sir!«
    »Schon besser.«
    Charles fühlte, wie seine Knie knickten. Er rutschte zwischen Schrank und Wand zu Boden. Der Mann stand über ihm.
    »Der Teufel kennt die Menschen, wenn sie noch Kinder sind und unerfahren. Er muss gar nichts tun als warten. Die Kinder werden älter und berühren sich, ein allererstes Mal, dann wiederholt es sich. Wie oft hast du versucht, dich zu beherrschen, Charles, es nicht zu tun, auf die süße Wonne zu verzichten? Hast du es je geschafft? Nein. Denn Satan ist in dir und lenkt dich und alles, was du fühlst. Du bist verloren, Junge. Von jenem Augenblick an warst du sein Sklave und wirst es bleiben bis zum letzten Atemzug. Du tust es immer wieder, weil er es will. Die Ohnmacht und Verzückung nutzt der Böse aus. Dein Wille ist gebrochen und niemand rettet dich. Das ist der Grund, warum du fiebernd betest und Gott dich nicht mehr hören kann. Er schweigt für immer, Charles, seit jenem ersten Morgen, als du das erste Mal dein Fleisch berührt hast.«
    Boggis trat zurück. Charles saß krumm da, der Kopf tat weh, die Zunge blutete.
    »Jetzt tanzt du aber«, sagte Boggis. »Es kann dich vielleicht läutern.«
    Charles starrte ihn nur reglos an. Von draußen drangen Stimmen in den Schuppen. Jemand schlug mit der Faust gegen die Tür, die innen fest verriegelt war. Boggis streckte eine Hand vor, sein Finger berührte Charles’ Nase. »Ein Wort nur, Junge, und du bist mausetot!«
    Er trat das offene Licht aus.
    »Ist jemand drinnen?«
    Zwei Männer sprachen miteinander. Man verstand nicht jedes Wort.
    »Leonard, wenn du da bist, mach auf, ich brauche meine Eisennägel!«
    »Wir schweigen!«, befahl Boggis. Charles schwieg um sein Leben.
    »Es ist dringend, Leonard!«, schrie der Mann von draußen durch das Holz. Dann war es still. Charles hörte Schritte, sie kamen näher.
    »Tu einfach gar nichts!«, flüsterte Boggis unsichtbar.
    Dann krachte es, Holz splitterte und eine Fackel erleuchtete den Raum.
    Im selben Augenblick flog Boggis schon nach vorn. Die beiden Männer standen da, unschlüssig für den Augenblick. Der erste Schlag traf, jemand schrie. Die Fackel flog nach draußen auf das Pflaster. Die Männer schlugen sich. Charles kroch am Boden auf den Kampf zu. Jetzt stürzten alle drei. Charles nutzte die Gelegenheit und drückte sich vorbei, klaubte die Fackel auf und rannte los. Der Lärm schwoll plötzlich an und schien ihn zu verfolgen. Er schaute nicht zurück und flüchtete, bis seine Lungen brannten. Dann war es still. Charles ließ sich fallen. Die Fackel hatte ihm die Hand verbrannt. Er fühlte keine Schmerzen. Leute standen in der Nähe, sie wagten sich nicht näher heran. Bis Charles um Hilfe rief.

29. K APITEL ,
    in welchem sich ein Vogelfreier schutzlos umtreibt
     
     
     
    Die Hackneystute litt an Dämpfigkeit. Sie schnaufte schwer beim Gehen. Andrew tätschelte den Pferdehals. Er ritt sie nicht, er lief nebenher, während sie nach Westen gingen, vorbei an den Bunhill Fields, bis kurz vor Islington, wo eine verlassene Mühle stand, das Wohnhaus gut versteckt inmitten hoher, weiter Weiden- und Holundersträucher. Für Mörder wie gemacht!
    Das Wort wollte nicht aus seinem Sinn. Er fühlte immer noch das Blut an seiner Hand, obwohl er sie bereits zweimal in einem Bach gewaschen hatte. Es klebte wie die Schuld. Obwohl er sich aus Zorn und Not gewehrt hatte, ganz ohne nachzudenken. Ein paar Mal hatte Clifford noch gestöhnt, dann war der Lehrer stumm geblieben, und Andrew war davongerannt, Hals über Kopf, von Angst getrieben, blind in die Dunkelheit, als er mit einem Mal, weit hinter sich, das Schnauben hörte. Er war zurückgelaufen, hatte Cliffords Pferd beruhigt und mitgenommen.
    Im Osten kroch das erste Licht herauf. Er betrat die verlassene Mühle, band die Stute an und legte sich ins trockene Gras. Er schlief kurz ein und wurde wach, als schon das erste graue Licht hereinschien.
    Wieder

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