Die Seelenpest
gleich, es sei die schlimmste Sünde.« Sie lachte trocken. »Klapp dein Maul zu, Morland! Sie ist nicht schwanger. Ich frage sie, wenn du mich zu ihr lässt.«
»Und wenn sie lügt?«
»Was bist du für ein Vater, dass du dein eigenes Kind so wenig kennst?«
»Dieser Andrew Whisper wird gesucht, er hat seinen Lehrer überfallen!… Der Mann ist beinah tot!«
Alice winkte ab. »Darf ich nach oben gehen oder nicht?«
»In Gottes Namen…« Am liebsten wäre er jetzt aufgesprungen und hätte Bücher, Töpfe, Stühle, alles an die Wand geschlagen. Stattdessen saß er hier und machte heimlich Fäuste.
»Ich jedenfalls schäme mich vor ihr«, erklärte sie. »Für dich.«
»Schweig still!«
»Ich will nur«, rief sie zurück, »dass du begreifst, was du ihr antust. Geh selbst hinauf und frage sie! Dann geh zu William und sage ihm, er soll sich eine andere Frau aussuchen, eine, die besser zu ihm passt.«
»Bist du verrückt geworden?«
»Ja.« Sie nickte ernst. »Nur um zu verstehen, was in deinem Herzen vorgeht und in deinem Kopf.«
»Schluss! Stille jetzt!« Er war krebsrot geworden. »Was denkst du, wer du bist, dass du mit deinem Ehemann…«
Sie lächelte, ohne ihn anzusehen. Es wäre zu gefährlich, sie kannte ihn. »Rühr mich nur einmal an, Morland, einmal noch, und ich wehre mich mit einem Messer. Ich schwöre es beim Leben meiner Mutter.«
Er pustete verächtlich und nahm sich erneut vor, sie bei der nächsten Gelegenheit zu schlagen.
»Ich prophezeie dir, dein Kind wird unglücklich, sie wird sich aus Verzweiflung selber töten, wie diese armen Schüler. Ob einer Gott verliert oder die Liebe, ist kein Unterschied.«
»Du redest Weiberzeug!« Er ahnte längst, dass sie die Wahrheit sagte, und wurde umso zorniger. »Du machst mich zum Gespött der Leute. Bin ich ihr Vater oder nicht?«
»Als sei es deine Pflicht, sie heute zu verloben!«
»Geh in deine Küche!«, befahl er heiser. »Ich gehe selbst nach oben und werde mit ihr sprechen. Soll ich sie mit einem Totschläger vermählen, bloß damits den Weibern in den Kram passt, für die Liebe und die Sehnsucht?« Er stand auf.
»Also gehst du hoch?«, fragte Alice. Sie war verwundert. »Ich ehre dich.«
»Nicht nötig, Frau.« Er ging an ihr vorbei. Im Augenwinkel sah er, dass sie ihn betrachtete. Er blickte weg, schritt schnell durch die Tür in Richtung Treppe.
D IE W ENDELTREPPE HOCHZUSTEIGEN fiel ihm ungewöhnlich schwer. Oben angelangt schmerzte die Brust beim Atmen. Er horchte, drinnen war es mäuschenstill. Er hatte keine Ahnung, was er Megge sagen wollte. Er hatte Angst vor ihr – so weit hatte Alice ihn gebracht mit dem Gerede! Er klopfte.
»Margaret, Kind! Darf ich hereinkommen? Wie geht es dir? Versorgen sie dich richtig? Bringt die Magd dir alles, was du brauchst? Bist du gesund?« Er klopfte wieder, lauschte angespannt.
»Antworte, Megge! Sieh doch ein, dass es nur Vatersorge ist, wenn ich dich zu etwas zwinge. Jeder Vater muss dies tun, überall, wo Menschen sind. Wo kämen wir denn hin? Denke bitte nicht, du seiest mir nichts wert, was glaubst du denn? Gills ist ein braver Anwalt, er hat dich freiwillig erwählt und kann eine Familie dem Stande nach ernähren. Das ist das Wesentliche. Die Liebe ist bloß ein Gefühl, das niemand essen kann.«
Er wartete nervös. Er hörte nichts. Er hatte ja das Recht, die Tür auch ohne Klopfen aufzumachen. Er tat es nicht. Er stand nur da und ließ die Arme hängen.
»Tochter Margaret! Deine Stiefmutter ist der Meinung, ich müsse mich bei dir entschuldigen, das ist lächerlich. Der Kerl hat dich verführt, nicht wahr? Das ist doch keine Liebe! Du hast selbst gehört, dass man ihn mit Waffen und Soldaten sucht, schon in der ganzen Stadt. Sein Lehrer liegt mehr tot als lebend im Hospital, der Bürgermeister, alle Oberen sind außer sich und wollen die ganze Schule räumen und durchsuchen lassen. Recht haben sie: das Übel an der Wurzel packen! Hörst du, was ich sage?« Jetzt schlug er mit der Faust aufs Türblatt.
»Was ist denn überhaupt passiert?«, fuhr er süßlich fort. »Diese Unglücksfälle mit den Schülern, und du hast dich verliebt! Zwei Inseln in einem Ozean, so weit entfernt und unverbunden wie nur denkbar. Und plötzlich gibt es doch eine Brücke, dieser Junge, Megge. Er hat uns unseren Frieden weggerissen. Und da soll ich mir keine Sorgen machen? Wenn du jetzt öffnest, kannst du sehen, dass dein Vater weint… Wie gering soll ich mich machen, damit du es verstehst?
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