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Die Seelenpest

Die Seelenpest

Titel: Die Seelenpest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Seidel
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schlecht wie nie. Er zitterte am ganzen Leib. Er dachte an den Hund und fühlte seine Wut neu kochen. Dennoch bohrte Angst in ihm. Es war, als liefen sie in eine Falle, wissentlich. Sie waren schon gefangen, bevor man sie gefangen nahm! Er dachte an Margaret und biss sich auf die Lippe, um die Tränen wegzudrängen. Er rieb die kalten Hände, fühlte an seinem Gürtel, wo die Riemen hingen, das Messer steckte, der Knebel saß, alles griffbereit. Er schwitzte kalt. Nun wurde er zum Verbrecher, er war es längst; allein der Plan war wie ein Urteil. Er spähte. Die Straßen waren noch leer. Jemand Vermummtes verließ irgendwo ein Haus, schüttete einen Eimer Dreck aus, verscheuchte ein paar Hunde und ließ für den Morgen Hühner auf die Gasse.
    Gregor zitterte. Andrew stieß ihn an.
    »Als Kind habe ich mit den Augen geblinkt, und was ich gerade sah, war wie ein Gemälde fest in meinem Kopf. Ich kann die Bilder heute noch erinnern, jede Einzelheit.«
    »An was du jetzt denken kannst«, staunte Greg. »Mir ist bloß schlecht.«
    »Ich sehe meine Mutter«, erzählte Andrew weiter. »Ich war neun oder zehn Jahre alt, als sie starb. Sie hatte schöne, hohe Wangenknochen und roch so gut. Die Hände waren weich, das Haar so lang, dass sie damit ein riesiges Nest bauen konnte. Mein Vater hat nie mehr gelacht, nachdem sie tot war.«
    Er fühlte sich, als richtete ein unsichtbarer Schütze seinen Pfeil auf ihn; er wusste nicht, von wo und wann er schießen würde. Im Grunde war er schon getroffen. Was, wenn es doch Wächter in der Nähe gab? Was, wenn dieser Anwalt sich mit Kräften wehrte, wenn er bewaffnet war? Die Müdigkeit betäubte alle Glieder. Es dauerte und dauerte. Die Zeit kroch hin, zäh, schneckenähnlich, klebte fest wie Pech.
    Der Himmel wurde bleich. Drüben in der Gasse wurden Türen aufgemacht, die Leute lugten um die Ecken. Ein Esel graste in der Nähe, dann kamen Schafe, Schweine. Ein Mann schob eine Karre, die Räder quietschten laut. Kinder rannten durch die Straße, stolperten und schrien, jagten dicht vorüber, weiter in die nächste Gasse und verschwanden.
    Dann überschlug sich alles. Ein Reiter kam die Straße hoch. Es war der Anwalt, Gills, mit Schärpe und Barett. Gerichtsornat. Und da: Er trug einen Degen an der Seite! Gregor schob Andrew vor: »Jetzt musst du…!«
    Andrew sprang aus der Deckung und lief los. Der Mann sah ihn kommen, das Pferd scheute und stand auf. Noch bevor Andrew ihn erreichen konnte, stürzte Gills hintenüber auf den Boden. Er starrte einen Augenblick. Dann fuhr er hoch, stand schon in ganzer Größe da und zog den Degen! Andrew rannte auf ihn zu, war schnell genug und fiel ihm in die Arme. Sie stürzten hin.
    Der Anwalt lag am Boden, ganz benommen, der Degen ein Stück weiter. Gregor holte ihn. Andrew hatte seinen Fuß auf Gills’ Arm gestellt, der Mann verzerrte das Gesicht vor Schmerz. Gregor zog die Riemen aus Andrews Hosenbund, legte Gills’ Hände aneinander und band sie fest.
    »Schnell weg hier!«
    Andrew presste dem Überwältigten den Knebel in den Mund. Der kam jetzt zu sich, riss die Augen auf und trat ins Leere. Er ergab sich. Andrew nahm seinen Arm und half ihm auf die Beine.
    Er zog ihn weg, er blickte um sich. Das Pferd stand in der Nähe. Andrew zerrte Gills weiter, schnell, bloß schnell, die leere Gasse hoch, er sah die hohe Mauer und die Büsche des Verstecks. Er trieb ihn zischend an. Gregor kam hinterher. Sie hechelten erschöpft. Gills stolperte und fing sich wieder. Andrew stützte ihn mit letzter Kraft. Sie erreichten das Versteck. Niemand, so schien es, hatte sie gesehen.
    Gregor goss Wasser in einen Krug und ließ Gills trinken. Der Anwalt hatte Tränen im Gesicht.
    »Also der Herr Bräutigam!«, rief Andrew.
    Gills summte seltsam, leise, fast selbstvergessen wie ein Kind.
    »Das hier ist keine Rache, Sir«, erklärte Andrew heiser. »Es geht nicht um Margaret, es geht um meinen Vater. Er soll leben. Ich will, dass man ihn freilässt. Wir werden Sir Thomas Morland drohen, Sie zu töten.«
    Gills schnaufte nur erschöpft. Andrew band einen weiteren Lederriemen an Gills’ linkem Fuß fest, das andere Ende knotete er an einen Wandring des Gemäuers.
    »Ihr wisst nicht, was ihr tut«, sagte Gills leise.
    »Ich rette meinen Vater, Sir, mit Ihrer werten Hilfe«, antwortete Andrew.
    »Du rettest niemand mehr, mein Junge.«
    Andrew las in Gills’ Augen. Eine Zeit verging.
    »Weil er schon tot ist…?«
    »Ja.«
    Andrew schüttelte den Kopf. Er tat, als

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