die Seelenwächterin - Smith-Ready, J: Seelenwächterin
Der Wachposten der Nachfahren musste glauben, er ginge leise, aber verglichen mit den meisten Angehörigen ihres Volkes war er so laut, dass er sich genauso gut Glocken um die Knöchel hätte wickeln können. Diese Vorstellung – und die Tatsache, dass ihre Nerven bis zum Zerreißen gespannt waren – brachte sie fast zum Lachen. Sie legte sich eine Hand auf den Mund.
Die Schritte verstummten. Rhia hob ihre Axt und dachte an das nasse, schreckliche Geräusch, das sie im Fleisch des Soldaten machen würde.
Eine Spottdrossel zwitscherte eine vertraute Melodie. Alanka und Lycas standen am anderen Ende des Lagers bereit, aber der Wachposten war Rhia zu nah, als dass sie hätte antworten können. Außerdem hatte die Angst ihre Lippen zu sehr ausgetrocknet, um auch nur einen Ton zu pfeifen.
Die Schritte erklangen erneut. In nur wenigen Augenblicken würde er sie entdecken. Sie erinnerte sich an den grauen Wolf, der ihr am Fluss das Leben gerettet hatte. Wenn der Wolf doch nur noch einmal auftauchen würde ...
Ein Tier gab es, das sie rufen konnte. Aber mitten in der Nacht? Und zu diesem Zweck?
Rhia schloss die Augen und bat um Vergebung, und dann begann sie ein leises Gebet, das Gebet, das die Krähen zu einer Beerdigung rief. Ihr innerliches Locken war schnell und dringlich, es sollte eher aufschrecken als schmeicheln.
Aus einer nahen Baumspitze drang ein Rascheln an ihre Ohren, dann ein verärgertes Schlagen von Flügeln.
Bitte, fügte sie dem Gebet hinzu. Hilf mir.
Ein leises Krächzen ertönte aus den Zweigen. Die Schritte des Wachmanns verstummten, und er murmelte einen erstaunten Fluch. Rhia wiederholte ihr Gebet. Sie brüllte in Gedanken und bettelte die Krähe an, aufzuwachen und zu fliegen.
Mit einem empörten „Grokkk!” glitt der Vogel aus dem Baum. Rhia öffnete die Augen und sah, wie ein Schatten herabtaumelte und den Waldboden streifte. Sie zuckte zusammen, als sie fürchtete, der an Tageslicht gewöhnte Vogel würde gegen einen Baumstamm prallen. Stattdessen landete er etwa dreißig Schritte entfernt und raschelte im Unterholz. Er klang dabei wie ein Eindringling im Lager des Feindes.
Der Wachposten rannte an ihr vorbei, um nachzusehen, und verschwand in den Wäldern. Rhia spähte um das Zelt herum. Der andere Wachposten war in Richtung von Alanka und Lycas unterwegs. Das war ihre Gelegenheit.
Sie rannte zu Mareks Gatter und kletterte über eine Seite, weil es kein Tor gab. In seinem Gesicht vermischten sich Verzweiflung und Erleichterung, als er das Seil, das an seinen Hals gebunden war, fest anzog. Sie hätte sich am liebsten neben ihn gekniet und seine Wunden durch Liebkosungen gelindert, aber dazu war keine Zeit. Sie stellte einen Fuß auf das Seil und den Pflock im Boden und schwang dann ihre Axt, um es sauber zu durchtrennen. Der Aufprall hallte laut wider.
Mareks Wache drehte sich nach dem Geräusch um. Gerade als er den Mund öffnete, um eine Warnung zu rufen, wurde sein Körper steif. Als er zusammenbrach, sah man, wie ihm ein Pfeil aus dem Rücken ragte.
Entschlossen durchtrennte Rhia die anderen Seile. Marek zog jedes von ihnen straff, um es ihr leichter zu machen. Als sie alle zerteilt waren, drehte sie sich zu ihm um.
Sein Gesicht war zu einer Schreckensmiene erstarrt. Sie waren umzingelt.
41. KAPITEL
E in Dutzend Wachen standen mit gezogenen Schwertern um das Gatter. Ihre Klingen waren direkt auf Rhias Herz gerichtet. Sie ließ die Axt fallen. Ein dumpfes Scheppern erklang, als sie auf dem Boden aufkam.
„Lasst sie am Leben!”
Der Hauptmann der Nachfahren schob sich an zwei der Wachen vorbei und betrachtete Rhia grinsend.
„Unsere kleine Falle hat funktioniert. Sie tauschen ihre Pferde vielleicht nicht gegen ein Stück Abschaum aus Kalindos, aber ich wette, für ihre kostbare, mickrige Krähenfrau geben sie alles.”
Rhia sah Marek an. Sein Körper war eingefallen, als wäre er schon längst über die Phase Erschöpfung hinaus und stünde an der Schwelle des Todes. Doch Krähe war noch weit von ihm entfernt, was bedeutete, dass er nur so tat als ob.
„Sag mir, kleines Mädchen ...”, Hauptmann Baleb lehnte seine Unterarme auf den Zaun, als würde er ein Schwätzchen mit ihr halten, „warum sich so viel Mühe machen, einen Toten zu retten?” Sein Lächeln verschwand, und er deutete auf zwei seiner Soldaten. „Fesselt die Lügnerin und ihren Geliebten. Ihr anderen, findet den Rest. Bring mir die Frauen lebendig und die Köpfe der Männer. Wir werden den Asermoniern
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