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die Seelenwächterin - Smith-Ready, J: Seelenwächterin

die Seelenwächterin - Smith-Ready, J: Seelenwächterin

Titel: die Seelenwächterin - Smith-Ready, J: Seelenwächterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeri Smith-Ready
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auf den Arm. „Vielleicht sollten wir ...”
    „Und jetzt musste Mutter qualvoll und voller Angst sterben.” Lycas löste sich mit einem Ruck aus Nilos Griff und ging auf Rhia zu. „Bist du jetzt zufrieden, du feiges Stück?”
    Rhias Trauer wandelte sich in Wut. Sie kreischte und stürzte sich auf ihren Bruder.
    Tereus trat zwischen sie, schneller, als sie es je für möglich gehalten hätte. Er streckte die Arme aus und hielt Rhia und Lycas auseinander.
    „Kein weiteres Wort.”
    Seine Stimme war leise, kaum mehr als ein Flüstern, aber in ihr lag mehr Stärke als in Rhias Kreischen oder Lycas’ anklagenden Schreien.
    Silina ging auf Mayra zu und seufzte das Seufzen der praktisch Veranlagten. „Die Vorbereitungen müssen getroffen werden. Rhia, hilf mir bitte.”
    Rhia drehte sich um und trat einige zögernde Schritte auf die sterblichen Überreste ihrer Mutter zu. Ihre Füße fühlten sich an, als lägen sie in Ketten. Hinter ihr weinte Lycas tiefe, erschütternde Schluchzer. Das Geräusch wurde leiser, und Rhia nahm an, dass Nilo seinen Bruder eng umschlungen hielt.
    Ihre Vorstellungskraft musste für diese Szene ausreichen, denn sie würde ihre Brüder in dieser Nacht nicht mehr ansehen.

6. KAPITEL
    R hia kniete sich nieder, während Galen das Messer schärfte.
    Durch das enge Lederband, das ihr Haar im Nacken zu einem langen Zopf zusammenhielt, tat ihr die Kopfhaut weh. Neben ihr warteten Lycas, Nilo und Tereus darauf, an der Reihe zu sein.
    Es schien, als wartete das halbe Dorf vor der Hütte darauf, dass die Beerdigung ihrer geliebten Heilerin begann. Mayra sollte hier auf der Farm, wo sie ihre Familie über zwanzig Jahre lang versorgt hatte, beerdigt werden, eingebettet in eine Laube aus Eichen. Rhia versuchte, sich den Ort des Friedens vorzustellen, den die Seele ihrer Mutter für immer kennen sollte. Aber alles, was sie sah und hörte, war das Messer. Seine Klinge glänzte im Licht, das durch das Fenster fiel, und es machte ein klirrendes Geräusch am Schleifstein.
    Im Haus war es still. Zu diesem privaten Teil der Zeremonie gehörten keine Gesänge, keine Musik, Mayras Leben wurde nicht gefeiert. Das Scheren war ernsthaft und sachlich.
    Theoretisch wusste Rhia den Brauch, sein Haar zu schneiden, nachdem man einen engen Verwandten – ein Elternteil, Bruder oder Schwester, Kind oder Ehepartner – verloren hatte, zu schätzen. Man zeigte damit nicht nur nach außen hin seine Trauer, man erlaubte damit auch anderen, den Trauernden Trost und Respekt entgegenzubringen. Eine solche Wunde sollte nicht versteckt werden.
    Doch als Galen mit dem Messer auf sie zukam, musste sie sich zwingen, nicht zurückzuschrecken, nicht aufzuspringen und sich in einer Ecke zu verkriechen. Sie redete sich ein, dass es nichts mit Eitelkeit zu tun hatte, dass es um den Schmerz ging, eine ständige Erinnerung an ihren Verlust mit sich herumzutragen. Aber sie dachte auch an Areas und fragte sich, wie er sie ohne ihre langen kastanienbraunen Locken ansehen würde, denn sie wusste, in ihnen lag der größte Teil ihrer Schönheit.
    Galen wickelte sich ihren Zopf um die Hand, um ihn besser halten zu könnten. Sie beugte sich vor, um das Haar glatt zu ziehen, und versuchte, nicht zusammenzuzucken. Nur Kinder brauchten Galens Lehrling, um sich den Kopf halten zu lassen. Sie würde mutig sein. Sie würde ...
    Die Klinge sauste durch die Luft. Sie spürte ein leichtes Ziehen am Hinterkopf, und dann fielen die verbliebenen kurzen Haarsträhnen nach vorn und strichen ihre Ohren entlang. Sie widerstand dem Drang, ihr Haar zu berühren.
    Galens Hand tauchte vor ihr auf. In seiner Handfläche lag eine ihrer Locken. Sie war länger und von intensiverem Rot, als sie erwartet hatte. Zögerlich nahm sie die Strähne entgegen, als gehörte sie einem Fremden.
    Aus dem Augenwinkel heraus sah sie Lycas, der aufrecht wie ein Zaunpfahl neben ihr kniete, den Blick starr geradeaus gerichtet, die Halsmuskeln angespannt. Die Klinge sang, und Lycas’ Körper lehnte sich vor, als er sich entspannte. Schwarzes Haar umspielte sein Kinn.
    Rhia rollte ihre Haarlocke zwischen Daumen und Zeigefinger. Endlich setzte bei ihr die Taubheit ein.
    Später am Morgen versammelten sich Rhia und ihre Familie am Rande der Laube, am Fußende von Mayras Grab. Die anderen Dorfbewohner, Hunderte von ihnen, standen im Umkreis der schattigen Begräbnisstätte. Die Sonne, die erst halbhoch am Himmel stand, schien durch die Blätter hindurch und tauchte das Grab in Tupfer aus

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