die Seelenwächterin - Smith-Ready, J: Seelenwächterin
Kälte des Winters und nahm den ersten Schneesturm zum An-lass, in ihrem Haus zu bleiben, wo es gemütlich und sicher war.
Jetzt erschien Areas auf ihrer Schwelle, und er sah alles andere als gemütlich und sicher aus. Die Kapuze seiner Felljacke gab seinem Kopf ein bestialisches Aussehen, und die kalte Luft hatte sein Gesicht gerötet. Er sah an ihr vorbei.
„Ist dein Vater zu Hause?”
„Nein, er ist zu Silina gegangen, um zu sehen, ob sie nach dem Sturm Hilfe braucht. Ihr Dach ist manchmal undicht, und ihr Mann ist zu krank, um es zu reparieren.” Sie strich sich das Haar glatt und fragte sich, ob sie so ungepflegt aussah, wie sie sich fühlte. „Bist du seinetwegen hier?”
„Nein. Ich wollte nur wissen, ob wir allein sind.”
Sie öffnete die Tür ganz. Areas trampelte sich den Schnee von den Füßen, ehe er ins Haus trat. Er legte seinen Ubermantel zum Trocknen neben das Feuer und zog sie dann ohne weitere Umschweife an sich. Sie versteifte sich.
„Was ist los?”, wollte er wissen. „Sind meine Hände kalt?” „Nein. Aber jetzt ist kein guter Zeitpunkt.”
„Nicht die richtige Mondphase? Ich dachte ...”
„Können wir uns einfach hinsetzen und reden? Es ist so lange her.”
„Natürlich.” Areas ging zum Bett in der Ecke. Noch immer hielt er ihre Hand fest. Sie löste sich aus seinem Griff und setzte sich an den Tisch. Statt neben ihr Platz zu nehmen, streckte er sich auf dem Bett aus und sah sie ruhig und verführerisch an.
Etwas in ihr regte sich, und sie fühlte sich zu ihm hingezogen. Nicht wie eine Geliebte, sondern wie ein Opfer, das im Bann eines jagenden Tieres stand. Sie wandte sich ab, um sich einen Becher kaltes Wasser einzugießen. Am Boden des Kruges schwamm schmelzender Schnee.
„Möchtest du auch etwas?”, fragte sie Areas, ohne ihn anzusehen.
„Bitte.”
Sie schob den Krug über den Tisch. Nach einigen Augenblicken stand er auf und setzte sich ihr gegenüber.
„Es tut mir leid, wenn ich dich bedränge”, sagte er.
„Tust du nicht.”
„Was ich eigentlich will, ist, dich zu holen. Zurück ins Leben, meine ich.”
„Das Leben ist nicht meine Berufung.”
„Es ist eines jeden Berufung, selbst deine. Leben ist das eine, was wir alle gemeinsam haben.”
Wie tiefsinnig, dachte sie so sarkastisch, dass es sie selbst erschreckte.
„Wie geht deine Ausbildung voran?”, fragte sie ihn.
Areas betrachtete den Grund seines Bechers, während er sprach. „Torin lässt mich viele Strategiespiele spielen, um meine Fähigkeiten zu schärfen. Ich bin der schlechteste Spieler, den er je gesehen hat.”
„Ich bin sicher, mit etwas Übung wirst du besser.”
„Ich habe nicht nur kein Talent, ich mag die Spiele auch nicht. Mehrere Schritte im Voraus planen, die Gedanken des Gegenübers nachvollziehen, alle Möglichkeiten abwägen, um die beste Taktik zu finden – so stelle ich mir einen schönen Nachmittag nicht vor.”
„Niemand hat versprochen, dass deine Gabe Spaß machen würde.”
„Ich muss keinen Spaß haben, ich muss nur inspiriert werden.” Sein Gesicht hellte sich auf, und er rumorte einen Augenblick unter dem Tisch, ehe er seine Faust hervorzog. „Streck deine Hand aus.”
Rhia hob ihre Handfläche. Areas legte seine darauf und deckte dann einen kleinen weißen Stein auf, der perfekt in die Mitte ihrer Hand passte. Seine Oberfläche war glatt wie Milch und mit schwarzen Streifen marmoriert. Der Umriss einer Krähe, schwarz bemalt, war in eine Seite geschnitzt.
„Sie passt in deine Tasche”, sagte er, „und wenn du Angst hast oder nervös bist, kannst du mit dem Daumen über die Krähe streichen und die Anwesenheit deines Schutzgeistes spüren.”
Rhias Worte – oder vielmehr eine Sammlung unzusammenhängender Laute – blieben ihr in der Kehle stecken, und ihre Lippen bewegten sich geräuschlos. Endlich bildete sich ein Satz.
„Hast du den für mich gemacht?”
„Nein, ich habe ihn für alle anderen Krähenfrauen in der Stadt gemacht, aber keine wollte ihn, also gehört er dir.”
Eine Wahrheit, die schon jahrelang an ihr nagte, lag jetzt in ihrer Handfläche und konnte nicht länger ignoriert werden.
„Areas, kann ich dich etwas fragen, und du versprichst, die Wahrheit zu sagen?”
Er wurde ernst. „Wenn du versprichst, nie wieder davon zu reden.”
Sie hielt den Stein mit den Fingerspitzen vor sich. „Was bist du?”
Areas öffnete den Mund, um zu sprechen. Er schob den Stuhl zurück und begann, auf und ab zu gehen.
Seine
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