die Seelenwächterin - Smith-Ready, J: Seelenwächterin
Bewegungen kamen ihr merkwürdig vor. Es brauchte mehrere Runden, bis sie merkte, dass sein schwerfälliger Gang durch Schritte ersetzt worden war, die so elegant waren, dass sie ihn mit abgewandtem Gesicht nicht erkannt hätte.
„Als ich in den Wald zu meiner Weihung gegangen bin”, sagte er, „erwartete ich, Bär zu treffen. Sieh mich an – ich habe den Körperbau, die Stärke, den Gang ...”
„Den Gang hast du nicht mehr.”
„Weil ich mit dir allein bin. Ich kann mich gehen lassen. Hoffe ich.” Sie nickte, und er fuhr fort: „Es war mein Schicksal, Krieger anzuführen, mein Volk zu verteidigen. Ich war mir mein ganzes Leben lang so sicher. Mein Vater war sich so sicher.”
„Er hat gesehen, was er sehen wollte.”
„In jener Nacht im Wald ...” Er versuchte mehrmals, den Satz zu vollenden. Rhia hatte Mitleid mit ihm.
„Spinne ist zu dir gekommen.”
Areas blieb stehen und seufzte auf, als legte er nach langem Marsch eine Last ab. „Ich wollte ihr sagen, dass sie gehen und Bär den Weg freimachen soll, aber ...”
„Bär ist nicht gekommen.”
„Und es fühlte sich so richtig an, in mir drinnen.” Verklärt sah er Rhia an. „Ich kann Schönheit schaffen.”
„Das kannst du.” Sie befühlte den Stein in ihrer Hand. „Aber erinnerst du dich an den Tag, als Lycas zu uns kam, weil meine Mutter krank geworden ist? Du hast ihn lange vor mir p>gehört. Waren das nicht deine Bärensinne?”
„Nicht die Art von Sinn wie Hören oder Sehen. Es ist ein Gefühl für Gefahr oder Arger, der aus weiter Ferne droht, so wie eine Spinne, die Schwingungen noch in den äußersten Winkeln ihres Netzes spürt.” Er machte eine ausladende Handbewegung. „Und ich sehe Muster in Dingen, Zusammenhänge, die anderen verborgen bleiben. Nicht so anders als das strategische Denken eines Bären.”
„Also hast du allen etwas vorgemacht.”
Sie bereute ihre Wortwahl sofort. Seine Miene verdüsterte sich.
„Es tut mir leid”, sagte sie. „Was ich meinte, war ...” „Nein, du hast recht. Ich habe allen vorgemacht, Bär zu sein.” „Warum?”
„Es ist einfacher, das zu sein, was die anderen von mir glauben.”
„Dein Vater weiß es nicht?”
„Was im Wald passiert, bleibt ein Geheimnis zwischen dem Menschen und seinem Geist.” Areas breitete seine langen Finger aus und starrte sie an, als hielten sie die Erinnerung an seine Weihung fest. „Ich habe meinen Vater noch nie belogen. Ich habe ihm nur nicht die Wahrheit gesagt.”
Rhia betrachtete das Bett, in dem Mayra gestorben war. „Galen hat mir gesagt, es ist schwer, die Wahrheit in denjenigen zu sehen, die wir lieben. Ich wollte glauben, dass Mutter noch mehr Leben in sich trug, als wirklich der Fall war. Mein Wunsch hat meine Magie behindert, hat er gesagt.” Sie keuchte auf. „Er weiß von dir.”
Erschrocken sah Areas sie an. „Warum glaubst du das?” „Deshalb hat er mir davon erzählt. Weil er es aus Erfahrung wusste. Er schien traurig, als er es erzählt hat, als wäre er von sich selbst enttäuscht.”
„Weil er sich in mir getäuscht hat.”
„Nein.” Sie stand auf und ging auf ihn zu. „Weil er versucht p>hat, dich auf den falschen Weg zu leiten. Weil er überhaupt versucht hat, dich zu leiten. Er hätte dich das sein lassen sollen, was du bist, ohne sich einzumischen. Er weiß das jetzt, wenigstens ein Teil von ihm tut das.”
„Er will einfach nur, was für unser Volk am besten ist. Das tun wir alle.”
Sie dachte darüber nach, was seine Aussage bedeutete. Asermos brauchte Männer und Frauen, die in den Krieg zogen, der vielleicht weit am Horizont auf sie wartete.
Der Krieg.
„Areas, wenn du eine Spinne bist, dann wirst du kein Krieger sein. Du kannst ein langes Leben leben.” Mit mir.
Er sträubte sich. „Ich bin sehr wohl ein Krieger. Nicht durch meine Geburt, sondern weil ich es mir aussuche.”
„Dein Geist hat dich aus einem bestimmten Grund gewählt. Vielleicht braucht dein Volk deine Spinnengaben.”
Areas lachte bitter und klopfte auf den Stein in ihrer Hand. „Unser Volk braucht nicht noch mehr Trödel.”
„Trödel?” Sie zog ihre Hand zurück und brachte den Stein außerhalb seiner Reichweite. „Das hältst du von diesen Dingen? Deshalb hast du ihn für mich gemacht, als Schmuck? Ich kann keine Kraft aus Trödel schöpfen.” Sie senkte die Stimme. „Du hast es selbst gesagt, du kannst Schönheit erschaffen. Schönheit hat eine Bedeutung.”
Er berührte ihre Wange so sanft, dass es sie
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