die Seelenwächterin - Smith-Ready, J: Seelenwächterin
ihre Tränen trocknen.
Während der kurzen Zeiten, in denen es taute, eilte sie zu Galens Haus, um ihre Ausbildung fortzusetzen. Areas war nie daheim, wenn sie kam. In den ersten zwei Wintermonaten träumte sie oft von ihm und erwachte fast jeden Morgen mit einem nassen Kissen, aber je näher der Frühling kam, desto verschwommener wurde sein Gesicht in ihrer Erinnerung, bis ihre Liebe wie ein schöner, aber unerreichbarer Kindertraum schien. Sie nahm allerdings weiter den Samen der wilden Möhre, denn es gab genug von dem Kraut, und es linderte ihre monatlichen Krämpfe und die Kopfschmerzen.
Tereus hatte nach Mayras Tod angefangen, unten zu schlafen, und erlaubte Rhia, das größere Bett im Einziehboden zu benutzen, wo es wärmer war und zurückgezogener. Sie wusste, dass er nicht länger allein in dem großen Bett schlafen konnte, das er einst mit seiner Frau geteilt hatte. Manchmal, in der Dunkelheit, hörte sie ihn weinen.
In der Nacht, bevor sie nach Kalindos aufbrechen sollte, lag sie wach und machte sich mehr Sorgen als gewöhnlich.
„Vater?”, sagte sie so leise, dass er es nur hören konnte, wenn er wach war.
„Ja, Rhia?”
„Wie wird es dir hier ergehen, wenn ich fort bin?”
Er seufzte. „Wie ich dir bereits die neunzehn anderen Male, als du gefragt hast, gesagt habe, deine Brüder werden mir mit p>den Tieren helfen und die Nachbarn mit allem anderen. Ich kann gut selbst kochen.”
Sie verkniff sich einen Kommentar. Seine Zubereitungen verdienten kaum den Namen „Kochen”, aber sie würden verhindern, dass er verhungerte.
„Was ist, wenn du krank wirst?”
„Dann kümmere ich mich um mich selbst, bis ich gesund bin.”
„Was, wenn du dich nicht selbst kümmern kannst?” „Dann liege ich hier und vergehe. Mit meinen letzten Gedanken werde ich dir bittere Vorwürfe machen, weil du erwachsen geworden bist.”
Sie lachte leise. „Hör auf damit.”
„Du hast gefragt.”
Der Zeitpunkt war so gut wie jeder andere, um zu sagen: „Ich glaube, du solltest wieder heiraten.”
Seine Stimme wurde leiser. „Das kann ich nicht.”
„Wirst du nicht einsam sein?”
„Es gibt schlimmere Dinge als Einsamkeit.”
Rhia konnte es sich nicht vorstellen. „Was zum Beispiel?” „Ich komme zurecht.”
„Du solltest noch mehr Kinder haben. Was, wenn mir etwas geschieht und du nie Großvater wirst?”
„Dir wird nichts geschehen.”
„Aber was, wenn ...”
„Dir wird nichts geschehen”, sagte er mit so viel Nachdruck, dass sie wusste, hier war mehr als Wunschdenken im Spiel.
„Vater, hast du etwas gesehen?”
Seufzend drehte er sich um. „Ich werde Großvater werden. Schlaf jetzt.”
Sie lag im Dunkeln, die Hand auf ihrem Bauch, und fragte sich, wie er sich anfühlen würde, wenn in ihm neues Leben heranwuchs.
„Es ist dennoch seltsam, nur ein Kind zu haben”, sagte sie.
Im Seufzen ihres Vaters lag dieses Mal mehr als nur Ungeduld. „Galen hat nie wieder geheiratet, nachdem Areas’ Mutter im Wochenbett gestorben ist.”
„Aber er hat auch keine Farm. Lycas und Nilo bleiben nicht ewig, um dir zu helfen. Sie sind nicht für dieses Leben geschaffen.”
„Rhia, möchtest du wirklich in einem Jahr nach Hause kommen und sehen, dass eine andere Frau den Platz deiner Mutter eingenommen hat?”
Mit diesem Bild vor Augen versuchte sie, ein gelogenes „Ja” herauszupressen, aber sie konnte es nicht. „Es geht nicht darum, was ich will. Es geht um das, was du brauchst.” Als er nicht antwortete, insistierte sie: „Du bist noch nicht einmal vierzig. Bitte sag, dass du darüber nachdenkst.”
Eine lange Zeit der Stille verging, nur durchbrochen von seinen knappen Atemzügen.
„Nein.”
An seinem Tonfall erkannte sie, dass es sein letztes Wort war.
„Ich hebe dich”, sagte sie.
„Ich hebe dich auch. Gute Nacht.”
Rhia zog sich die Decke bis unters Kinn und wartete auf Schlaf, der nicht kommen wollte.
10. KAPITEL
A m nächsten Morgen betrat Rhia den Hundezwinger, um die Vierbeiner ein letztes Mal zu füttern. Als sie fertig gefressen hatten, kamen sie einer nach dem anderen zu ihr, um sich umarmen zu lassen. Ihre Verbindung zu den sechs derzeitigen Mitgliedern des Rudels war nicht so eng wie die, die sie zu Boreas gehabt hatte, aber sie konnte jeden von ihnen mit geschlossenen Augen erkennen – am Bellen oder an ihrem individuellen Laufstil.
„Wirst du sie mehr vermissen als mich?”, fragte ihr Vater. Rhia sah auf, zuckte zusammen und schüttelte dann, unfähig,
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