Die Seelenzauberin - 2
überzeugte, die einzige Person zu sein, die der Königin von Sankara wirklich am Herzen lag, blieb ihr Herz kalt. Die Freude auf ihrem Gesicht war nur eine Maske, und selbst der Stolz über das gelungene Fest war nur ein matter Abglanz eines aufrichtigen Gefühls. Alles erschien ihr leer und eitel. Ihr größter Wunsch war unerfüllbar, und daran konnte kein Mensch hier etwas ändern. Das nahm jeder anderen Zerstreuung ihren Reiz.
Konnten ihre Gäste die Schwäche in ihrem Herzen sehen? Spürten sie das Verhängnis, das wie ein Leichentuch über ihr hing? Oder gelang es ihr, beides geschickt zu verbergen?
Denk nicht darüber nach , befahl sie sich. Kümmere dich um die anstehenden Fragen.
Die Ratsversammlung war halbwegs friedlich, aber letztlich ohne Ergebnis zu Ende gegangen. Nun, sie hatte nichts anderes erwartet. Sie war keine von jenen Monarchen der Freien Lande, die den Kopf in den Wolken hatten und Träumen von politischer Einigkeit und gemeinsamen Strategien nachhingen. Sie war realistisch. Die Freien Lande hatten sich zusammengetan, um die Bedrohung durch das Großkönigtum abzuwehren und Danton Aurelius daran zu hindern, einen der wertvollen Handelshäfen der Innensee nach dem anderen an sich zu bringen. Einzeln wären ihm die sechsundzwanzig winzigen Nationen vielleicht zum Opfer gefallen, aber gemeinsam waren sie stark genug gewesen, seine militärischen Übergriffe zurückzuschlagen. Niemand hatte gewagt, aus dem Bündnis auszubrechen, denn das wäre für den Eroberer geradezu eine Einladung gewesen.
Doch jetzt war Danton Aurelius tot. Die Bedrohung bestand also nicht mehr. Und ohne den gemeinsamen Feind neigten die so genannten Freien Lande dazu, wieder so zu werden wie früher: ein Haufen zänkischer, disziplinloser Kleinstaaten, denen es wichtiger war, sich untereinander zu bekriegen, als einer gemeinsamen Sache zu dienen. Oh, es gab durchaus die eine oder andere Ausnahme. Zwischen den Herrscherhäusern wurden Ehen geschlossen, um Blutsbande zu knüpfen, die manchmal auch eine Weile hielten. Hin und wieder verging eine ganze Generation, ohne dass es zwischen zwei Staaten zum offenen Krieg kam, der Schattenkrieg von Korruption und Meuchelmord tobte allerdings mit unverminderter Härte weiter. Und Sankara selbst war so wohlhabend – und so stark –, dass es mit seinen Nachbarn nie um Land oder Gold hatte kämpfen müssen. Doch alles in allem waren die Herren der Freien Lande unheilbar streitsüchtig. Wem welcher Stein an der gemeinsamen Küstenlinie gehörte, war ihnen viel wichtiger als alle Träume von allgemeinem Wohlstand.
Danton war der Andere gewesen. Aus Angst vor ihm hatten sie sich verbündet. Wer würde diese Rolle in Zukunft übernehmen? Salvator Aurelius wollte Frieden, jedenfalls hatte sie das gehört. Ein Büßermönch, der den Krieg hasste, sollte den Thron eines Kriegstreibers erben! Das konnte niemandem nützen.
»Mein Kompliment, edle Königin. Ich bin von diesem Abend sehr angetan.«
Siderea war so in Gedanken versunken gewesen, dass sie nicht bemerkt hatte, wie jemand sich ihr von hinten näherte. Nun tarnte sie ihre Überraschung mit einem erfreuten Lachen. Wer immer sie angesprochen hatte, er würde aus diesem Lachen genau das heraushören, was er hören wollte. »Ihr seid zu gütig«, säuselte sie und drehte sich um.
Er war ihr fremd, ein Mann von unbestimmbarem Alter, schlank, mit harten Muskeln und schwarzem Haar, das im Pagenschnitt die hageren, eckigen Züge umrahmte. Sein Kinn war ohne jeglichen Schatten, ein Zeichen dafür, dass seine letzte Rasur erst wenige Stunden zurücklag. Das war … auffallend an einem Tag, an dem Herren wie Diener seit dem Morgengrauen ohne Atempause geschäftig umhergeeilt waren. Die lange Robe war aus teurem Stoff, aber von schlichtem Schnitt und gestattete keine Rückschlüsse auf seine Herkunft. Rote Seide: rot wie Granatäpfel, rot wie Blut. Seine Aussprache klang fremdartig, aber sie wusste mit dem Akzent nichts anzufangen. Auch das war ungewöhnlich; die große Hafenstadt Sankara wurde von Händlern und Reisenden aus allen großen Städten der Welt besucht, und Siderea hatte ihre Sprechweisen und Mundarten oft genug gehört. Diese Klänge waren ihr aufreizend vertraut, aber es gelang ihr nicht, sie unterzubringen.
Die Hexenkönigin legte Wert darauf, sich die Gesichter und die Namen aller Gäste auf ihren Festen einzuprägen, das galt sogar für die Diener, die mit den Herrschaften reisten. In ihrem Haus sollte sich niemand
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