Die Seemannsbraut
ihn nachdenklich an. »Bist du auch ganz sicher, Onkel? Vielleicht ist sie wirklich verreist, weil sie glaubte, es wäre am besten für dich.« Er stockte. »Oder weshalb auch immer. Jedenfalls scheint sie ein sehr anständiger Mensch zu sein.«
»Ich bin sicher, Adam. Und danke für deine Unterstützung. Ich wüßte nicht, wo sich Valentine Keene momentan aufhält, und habe auch keine Zeit, ihn brieflich zu erreichen. Es bleiben mir nur noch Tage, nicht Wochen.«
Seine Sorge war so offensichtlich, daß Adam beschwichtigend sagte: »Nur die Ruhe, Onkel, du hast viele Freunde.«
Gemeinsam traten sie in die Sonne hinaus. Einige Schaulustige beobachteten die an der Admiralität vorfahrenden Equipagen, und als sich die beiden Offiziere ihnen näherten, drehte sich einer um. Er rief: »Schaut, Leute, das ist er!« Er winkte Bolitho mit einem zerknautschten Hut. »Gott segne Euch, Dick! Verpaßt den Frogs noch mehr Prügel!«
Ein zweiter schrie beifällig: »Hört nicht auf die Miesmacher da drin!«
Bolitho lächelte, aber ihm war, als wolle sein Herz brechen. Er meinte leise: »Ja, ich habe wirklich noch ein paar Freunde.«
Bolitho wurde in Brownes Haus in der Arlington Street wärmstens empfangen, wie es ihm sein einstiger Flaggleutnant versprochen hatte. Ihr Herr befände sich im Norden, habe sie aber auf den Besuch vorbereitet, erklärte die Haushälterin und geleitete sie zu einer bequemen Zimmerflucht im ersten Stock. Adam verließ das Haus fast sofort wieder und begab sich zu Freunden, die vielleicht etwas über Catherine wußten; denn Bolitho war nun fest davon überzeugt, daß sie verschwunden war. Er glaubte nicht, daß sie mit Somervell verreist war, um den Schein zu wahren und ihrer beider Ruf zu retten.
Am nächsten Morgen, als Bolitho das Haus verließ, hatte er einen Wortwechsel mit Allday, der dagegen protestierte, zurückgelassen zu werden. Bolitho bestand jedoch darauf. »Wir sind hier nicht auf einem Schiff, das die Franzosen jeden Augenblick stürmen können, alter Freund.«
Allday starrte auf die belebte Straße. »Je länger ich in London bin, um so weniger traue ich der Stadt!«
Bolitho erwiderte: »Ich brauche dich aber hier, für den Fall, daß uns jemand besucht. Die Haushälterin könnte sie sonst fortschicken.«
Da mußte Allday nachgeben.
Es war nur eine kurze Strecke bis zu dem stillen kleinen Platz, an dem Belinda wohnte. Er schaute einigen Kindern zu, die auf dem Rasen in der Mitte spielten. Die Kindermädchen standen daneben und tratschten, wahrscheinlich über ihre Herrschaften. Eines dieser Kinder mochte Elizabeth sein. Bestürzt wurde ihm klar, daß sie sich seit ihrer letzten Begegnung sehr verändert haben mußte. Sie war nun fast drei Jahre alt. Zwei der Kindermädchen knicksten vor ihm, er grüßte höflich zurück. Wieder ein heimkehrender Seemann. Heim? Das klang in seinem Fall eher ironisch. Wie würde er die nächsten Minuten bestehen?
Das Haus war hoch und so elegant wie viele, die während der Regentschaft Seiner Majestät bisher gebaut worden waren. Mit seinen drei Stockwerken glich es sich den Nachbarn zu beiden Seiten an. Breite Stufen führten zum Portal, flankiert von einem kunstvollen schmiedeeisernen Geländer.
Eine Dienerin öffnete und betrachtete ihn mehrere Sekunden lang erstaunt. Danach sank sie in einen tiefen Knicks, nahm unter gestammelten Entschuldigungen seinen Hut und wies ihn in eine Säulenhalle, deren Decke ein blaugoldenes Blattmuster zierte.
»Hier entlang, Sir.«
Sie öffnete eine Flügeltür und trat beiseite. Der Salon war teuer und geschmackvoll ausgestattet, das Mobiliar schien ausländischer Herkunft. Die Vorhänge und dazu passenden Teppiche waren, so schätzte er, erst kürzlich angefertigt worden. Er dachte an das weitläufige Haus in Falmouth. Verglichen mit diesem wirkte es wie eine Bauernfarm.
Er erblickte sich in einem hohen, goldgerahmten Spiegel und straffte unwillkürlich die Schultern. Der Kontrast zu der fleckenlosen Weste und weißen Kniehose verlieh seinem Gesicht eine attraktive Bräune, aber in der Uniform kam er sich wie ein Fremder vor. Er versuchte sich zu entspannen und lauschte den gedämpften Geräuschen im Haus. Eine andere Welt.
Plötzlich öffnete sich die Tür, und sie trat schnellen Schrittes ein – Belinda. Sie trug ein dunkelblaues Kleid, das beinahe mit der Farbe seines Rockes übereinstimmte. Ihr Haar war aufgesteckt, ließ die kleinen Ohren frei und betonte den Juwelenschmuck am Hals. Sie wirkte
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