Die Seemannsbraut
Dinner gehen und so tun, als ob nichts geschehen wäre? Selbst wenn er Catherine niemals wiedersah, würde er sie und das, was sie für ihn getan hatte, nie vergessen.
»Ich kann nicht glauben, daß sie vor mir geflohen ist!«
Die Worte kamen laut über seine Lippen, aber er bemerkte nicht einmal, daß sich zwei Passanten nach ihm umdrehten.
Allday begrüßte ihn müde. »Nichts Neues, Sir Richard.« Bolitho warf sich in einen Stuhl. »Bring mir was zu trinken.«
»Einen schönen kühlen Weißwein?«
»Nein, diesmal was Starkes – Brandy.«
Er leerte zwei Gläser. Sie wärmten ihn und glätteten seine Gefühle. »Teufel nochmal, ich bin ratlos.«
Allday runzelte die Stirn, füllte aber nach. Trinken war die beste Methode, Kummer zu vergessen. Er sah sich um. Und die See. Davon verstand er was.
Bolithos Kopf sank auf die Brust, das leere Glas entfiel unbeachtet seiner Hand.
Sein Traum kam sehr plötzlich und war ungewöhnlich klar: Catherine klammerte sich mit bloßen Brüsten an ihn, während man sie ihm entriß. Ihr Schrei bohrte sich wie heißer Stahl in sein Hirn. Er erwachte mit einem Ruck und sah, daß Allday gerade seinen Arm losließ und ihn betroffen ansah. Bolitho japste: »Ich … Tut mir leid. Es war ein Alptraum.« Im Raum war es dunkler geworden. »Wie lange bin ich schon hier?«
Allday maß ihn kritisch. »Tut jetzt nichts zur Sache, mit Verlaub.« Sein Daumen wies zur Tür. »Da is’ jemand draußen, der Sie sprechen möchte. Will mit keinem anderen reden.«
Bolithos Kopf wurde allmählich klar. »Reden worüber? Aber egal, bring ihn rein«, fügte er hinzu.
Er stand auf und sah sein derangiertes Spiegelbild in der Fensterscheibe. Verlor er noch den Verstand?
Allday schmollte. »Er könnte auch bloß ein Bettler sein.«
»Hol ihn!«
Er hörte Allday durch den Flur gehen und dazu einen seltsam arhythmischen Schritt, der ihn an einen alten Freund denken ließ, zu dem er den Kontakt verloren hatte. Aber dieser von Allday hereingeschobene Mann war weder ein Bekannter, noch war seine abgetragene Uniform ihm vertraut.
Der Besucher nahm seinen altmodischen Dreispitz ab und enthüllte unordentliches, ergrauendes Haar. Er ging sehr gebeugt, was wohl von seinem Holzbein herrührte.
Bolitho fragte: »Was kann ich für Sie tun? Ich bin …«
Der Mann plierte ihn an und nickte mit Nachdruck. »Ich weiß, wer Sie sind, Sir.«
Er sprach mit schwachem Westküstenakzent, und die Art, wie er grüßend seine Stirn berührte, wies ihn als alten Seemann aus. Aber die Uniform mit den einfachen Messingknöpfen hatte Bolitho nie zuvor gesehen.
Er machte eine einladende Bewegung. »Möchten Sie sich nicht setzen? Allday, ein Glas für … Wie darf ich Sie nennen?« Der Mann balancierte verlegen auf einem Stuhl. »Sie werden sich nicht mehr erinnern, Sir, aber mein Name ist Vanzell.« Allday fuhr auf. »Bei Gott, er ist es!« Er starrte dem Einbeinigen ins Gesicht. »Geschützführer auf der
Phalarope
!« Bolitho griff nach einer Stuhllehne und ordnete seine abschweifenden Gedanken. Es war so lange her … Und trotzdem konnte er nicht verstehen, warum er den Mann namens Vanzell nicht erkannt hatte. Er stammte aus Devon wie Yovell. Das lag nun über zwanzig Jahre zurück, damals war er noch ein Juniorkapitän gewesen, wie es Adam nun bald sein würde.
Das Gefecht bei den Saintes hatte Godschale als sentimentale Erinnerung abgetan. Nicht so Bolitho. Er sah die durchbrochene Schlachtlinie noch wie heute, hörte wieder das Brüllen der Kanonen, in deren Feuer viele gute Männer fielen und starben. Einschließlich seines ersten Bootsführers, Stockdale, den es traf, als er ihn deckte. Er blickte Allday an, in dessen Gesicht sich die gleichen Empfindungen spiegelten. Auch er war dabei gewesen, als ein Gepreßter.
Vanzell freute es, daß man ihn wiedererkannte. »Ich vergaß niemals, wie Sie mir und der Frau geholfen haben«, fuhr er fort, »als ich abgemustert wurde, weil ich nur noch ein Bein hatte. Sie ha’m uns gerettet, Sir, das steht fest.« Er setzte sein Glas ab und schien einen Entschluß zu fassen. »Dann hör’ ich, daß Sie wieder in London sind. Also komm’ ich und versuch zu vergelten, was Sie für mich und meine Frau getan haben. Sie is’ schon lang nicht mehr. Es gibt nur noch mich, aber ich kann nicht vergessen, wie die Schweine damals unsere Decks beharkten.«
Bolitho setzte sich wieder. »Wovon leben Sie jetzt?«
Hinter seiner Frage stand Sorge, denn er begriff: Dieser Mann mit seinem
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