Die Seemannsbraut
ergänzte.
Auf Ersuchen des Hafenkommandanten hatte er Haven in seiner Haft an Land aufgesucht. Er hatte erwartet, ihn im Schock vorzufinden oder bereit, eine Erklärung vorzubringen, warum er Parris kaltblütig niedergeschossen hatte. Doch ein Arzt der Garnison teilte Bolitho mit, daß Haven sich an nichts erinnere und alles verdränge – oder sich nicht darum schere –, was vorangegangen war.
Als Bolitho Havens Zelle betrat, war dieser aufgestanden und hatte gemeldet: »Das Schiff ist bereit, Sir Richard. Ich habe Schritte unternommen, damit
Hyperion,
ob alt oder nicht, mit ihrer Artillerie jedem Franzosen ebenbürtig ist, wenn es dazu kommt.«
Bolitho hatte erklärt: »Sie sind abgelöst. Ich schicke Sie nach England.«
Haven hatte ihn fixiert. »Abgelöst? Ist meine Beförderung da?« Da war er wortlos gegangen.
Bei der Rückkehr an Bord war Bolitho ein an Haven adressierter Brief ausgehändigt worden, den das Postschiff eben von Spithead gebracht hatte. Unter den gegebenen Umständen entschloß sich Bolitho, ihn zu öffnen. Vielleicht konnte er jemandem in England die bittere Wahrheit über Haven ersparen, bis die Fakten beim unvermeidlichen Kriegsgerichtsverfahren offenbart wurden.
Hinterher war Bolitho doch nicht sicher, daß er ihn hätte lesen sollen. Der Brief kam von Havens Ehefrau. Fast beiläufig besagte er, daß sie ihn verlassen hätte, um mit einem reichen Spinnereibesitzer zu leben, der Uniformen fürs Militär herstellte. Sie und sein Kind wären dort gut aufgehoben. Also sah es aus, als ob der Betreffende auch Vater des Neugeborenen war, jedenfalls stammte es gewiß nicht von Parris. Falls Haven schließlich wieder zu Verstand kam, würde das für ihn am schwersten zu ertragen sein.
Der Erste Leutnant war wohl unter einem glücklichen Stern geboren. Die für sein Herz bestimmte Pistolenkugel war im Halbdunkel zu hoch gezielt gewesen, hatte den Knochen zersplittert und lag in der Schulter eingebettet. Er mußte entsetzliche Schmerzen gelitten haben, als Minchin sie zu entfernen versuchte.
Keen fragte Bolitho: »Möchten Sie ihn an Bord behalten? Die Wunde braucht Wochen, um zu heilen, und ich fürchte, er wurde stümperhaft behandelt.« Er entsann sich wahrscheinlich noch des großen Splitters in seiner Leiste. Statt ihn einem betrunkenen Chirurgen zu überlassen, hatte Allday das gezackte Holz selbst herausgeschnitten.
»Parris ist ein erfahrener Offizier, ich hoffe auf seine Beförderung. Gott weiß, daß wir geschickten Nachwuchs in den Kommandostellen brauchen können.«
Keen hatte zugestimmt. »Es dürfte auch die anderen Leutnants anspornen.«
Und so begab sich das Geschwader auf die Reise ins Mittelmeer, das so viele Gefechte gesehen hatte und in dem Bolitho fast gestorben wäre.
Mit
Hyperion
an der Spitze, die Admiralsflagge im Vortopp, die anderen Linienschiffe im Kielwasser und alle zusammen in einem steifen Nordwest heftig arbeitend, liefen sie aus und weckten wahrscheinlich ebenso viele Spekulationen wie bei ihrer Ankunft. Bolitho hatte die berühmte Silhouette des Felsens betrachtet, bis sie sich im Dunst verlor. Die in den klaren Himmel aufsteigende, eigenartige Dunstwolke war eine gewohnte Erscheinung, wenn der Wind die erhitzten Steine abkühlte, so daß der Felsen aus der Entfernung wie ein schwelender Vulkan wirkte.
Der größte Teil der
Hyperion
-Besatzung kannte sich schon seit der neuerlichen Indienststellung des Schiffes. Keen war fast der einzige Fremde unter ihnen. Doch als ein Tag dem anderen folgte und jedes Schiff Segelmanöver und Geschützexerzieren übte, war Bolitho dem Schicksal dankbar, daß es ihm Keen zurückgebracht hatte.
Im Gegensatz zu Haven kannte er Bolithos Eigenarten und Maßstäbe. Er hatte als Fähnrich und als Leutnant unter ihm gedient, ehe er schließlich sein Flaggkapitän wurde. Die Mannschaft spürte das Band zwischen dem Kommandanten und dem Admiral. Die älteren Leute nickten und erkannten es an, daß Keen nicht zu stolz war, sie zu fragen, wenn er etwas über das Schiff nicht wußte. Es kam Bolitho nicht in den Sinn, daß Keen damit vielleicht seinem Beispiel folgte.
Oft dachte er an Catherine und an ihren Abschied. Sie hatte darauf bestanden, ihn die ganze Strecke nach Portsmouth zu begleiten, als er sich wieder auf der kleinen
Firefly
einschiffte. Keen hatte sich schon früher verabschiedet und war mit Adam in einer anderen Kutsche vorausgefahren. Neben den in der Sonne dampfenden Pferden hatte sich Catherine an ihn geklammert
Weitere Kostenlose Bücher