Die Segel von Tau-Ceti
würde.«
Lucci zog ein mit Eselsohren verziertes Exemplar des System Journal of Astronomy aus der Mitte des Stapels und brachte sie ihm an den Schreibtisch. Die Bibliothek beklagte sich immer, dass Pierce seine Faxe nicht rechtzeitig zum Recycling zurückgab, aber das tangierte ihn nicht; er genoss das Gefühl des leicht rauen Kunststoffs zwischen den Fingern. Es erschien ihm gegenständlicher als eine bloße elektronische Abbildung. Die Zeitschrift, die Lucci in der Hand hatte, trug einen fast acht Jahre alten Datumsstempel.
Der kleinwüchsige Italiener blätterte durch die Seiten. »Aha! Ich wusste doch, dass mein Gedächtnis mich nicht im Stich lassen würde. Hier ist ein Artikel in der Kolumne »Natur und Wissenschaft vor zweihundert Jahren« . Der Eintrag ist auf den 12. April 2028 datiert. Hören Sie sich das mal an:
»Trotz aller Anstrengungen ist die Tau-Ceti-Nova auch dreißig Jahre nach diesem Ereignis das größte wissenschaftliche Geheimnis unserer Zeit. Auf einer Konferenz, die kürzlich auf Bimini auf den Bahamas stattfand, haben renommierte Astronomen einen neuen Anlauf zur Lösung der beiden Rätsel dieser nächsten aller Novae genommen. Die Konferenz schloss mit der einmütigen Feststellung, dass keine substanziellen Fortschritte bei der Beantwortung der Frage erzielt worden seien, weshalb ein äußerlich normaler, orangefarbener Zwergstern der Klasse K0 in der Hauptreihe explodiert ist. Das kleinere Rätsel — das anfängliche Defizit von 2,5 Prozent beim erwarteten Energieausstoß der Nova — war Gegenstand einer viel lebhafteren Spekulation, wobei sich aber auch keine Erklärung als plausibel erwies. Dieses Geheimnis wird uns wohl auch weiterhin begleiten.«
Lucci schaute mit erwartungsvollem Gesichtsausdruck von seiner Lektüre auf.
»Und?«, fragte Pierce.
»Sehen Sie das denn nicht? Dieses Geheimnis ist bis zum heutigen Tag nicht gelüftet worden!«
»Dessen bin ich mir durchaus bewusst. Worauf wollen Sie eigentlich hinaus, Bernie?«
»Ist das nicht offensichtlich? Ihre Leute werden doch jeden Moment Kontakt mit Wesen aufnehmen, die die Explosion mit eigenen Augen gesehen haben! Vielleicht können sie etwas Licht ins Dunkel der Frage bringen, weshalb ihr Stern explodiert ist. Wenn schon zu nichts anderem, dann sollte es zumindest für einen Artikel in den diesjährigen Transactions gut sein.«
Pierce dachte darüber nach und nickte dann. »Wäre vielleicht eine gute Gelegenheit, sich die >Neugier-Hörner< daran abzustoßen. Wie wär's, wenn ich eine entsprechende Frage formuliere und ans Schiff übermittle? Sie könnten die Aliens dann um Aufzeichnungen bitten, die sie vor und nach der Nova vom Stern gemacht haben. Das einzige Problem ist, dass wir zwei Monate auf eine Antwort warten müssten.«
Lucci lachte. »Wenn es Ihnen gelingt, die Kommunikationsverzögerung zu überbrücken, weihen Sie mich als Ersten in das Geheimnis ein, ja? Ich möchte meine Schäfchen ins Trockene bringen, bevor der Ansturm beginnt.«
»Was ist denn mit dieser anderen Sache, dem ungeklärten Lichtdefizit?«
Lucci zuckte die Achseln. »Kann nicht schaden, auch danach zu fragen.«
13
Nach dem Bankett geleiteten die Phelaner die menschlichen Gäste zu ihren Unterkünften. Die Gästequartiere befanden sich auf derselben Ebene im Verschlussdeckel wie der Bankettsaal, wobei jedem Besatzungsmitglied ein eigenes Apartment - mit einem gemeinsamen Wohnbereich — zugeteilt wurde. Am anderen Ende wurde der Gemeinschaftsbereich von einer transparenten Wand abgeschlossen, durch die man einen Blick über das ganze Habitat des Schiffs hatte. Nur dass die Szenerie im Vergleich zur letzten Besichtigung sich deutlich verändert hatte. Die Sonnenröhre strahlte nicht mehr in einem hellen Orangeweiß. Sie leuchtete nun in einem weichen blauen Licht, das sich wie ein dünner Nebel vom Himmel herabsenkte. Nur die verzerrten Lichter einiger Dörfer befanden sich scheinbar direkt unter ihrer Warte.
»Es regnet!«, rief Kit. Sie erhob sich und trat ans Fenster.
»Natürlich«, sagte Rolan, Kits Mentorin.
»Aber warum?«
»Der Sturm steht regelmäßig auf dem Plan. Es reinigt das Innere, erfrischt die Luft und gestaltet das Leben auch in anderer Hinsicht interessanter. Freuen die Menschen sich denn nicht, wenn das Wetter sich mal ändert?«
Für Tory, die ihr ganzes Leben unter den künstlichen Kuppeln des Mars verbracht hatte, war Regen ein unbekanntes Phänomen. Für sie beschränkte sich »Wetter« auf Staubstürme.
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