Die Segel von Tau-Ceti
Selbst auf den niedrigsten Erhebungen war die Marsatmosphäre so dünn, dass die dortigen Winde kaum mehr waren als ein sanfter Hauch. Und auf dem Gipfel von Olympus Mons war die Atmosphäre kaum dichter als ein Grobvakuum. Als sie sah, wie die kleinen Sturzbäche auf ihren sanft gekrümmten Coriolis-Bahnen am Fenster herunterliefen, vermochte Tory die irdische Vorliebe für Wetter erstmals nachzuvollziehen.
Als niemand antwortete, fuhr Rolan mit ihrer Erklärung fort. »Den Einbruch der Nacht und den Ausbruch dieses Sturms haben wir bewusst verzögert, damit Sie das Schiff noch vor dem Bankett sehen konnten. Wir haben jetzt wieder auf unser normales Wetterprogramm umgeschaltet.«
Faslorn schlug vor, dass die Mentoren ihre »Mündel« zu den Unterkünften führten. Maratel geleitete Tory zur ersten Tür rechts neben dem Fenster. Als sie das Apartment betrat, entdeckte Tory, dass es auch eine transparente Wand in einem Raum gab, den sie für das Wohnzimmer hielt. Die anderen drei Räume in der kleinen Suite waren ein Schlafzimmer, Badezimmer und ein Arbeitszimmer. Die Räume waren im »modernen« Renaissancestil eingerichtet, der — obwohl er auf der Erde gerade in Mode war - Tory ausgesprochen hässlich anmutete. Maratel führte sie durch ihre neue Unterkunft und zeigte ihr die verborgene Technik, mit der das Quartier förmlich gespickt zu sein schien.
Das Badezimmer hatte die gleiche Niedergravitations-Architektur, wie man sie auch auf Luna und Mars vorfand. Die Dusche war vollständig gekapselt und hatte einen Schichtströmungsabfluss in der Wanne, der das Wasser genauso schnell absaugte, wie es vom Sprühkopf an der Decke eingespritzt wurde. Die Toilette entsprach ebenfalls dem herkömmlichen Badezimmer-Design.
Im Arbeitszimmer fand Tory einen Schreibtisch und eine komplette Büromaschinenausstattung. Der Computer hatte laut Maratel eine Standleitung zum Bordcomputer der Austria. Er würde Torys Ansprüchen genügen, bis die phelanischen Techniker die Funkverbindung wieder hergestellt hatten.
»Sie können sich mit diesem Computer auch in die Bibliothek der Far Horizons einloggen«, sagte Maratel. Sie zeigte Tory, wie man auf die Datenbank Zugriff. Der Bildschirm teilte sich plötzlich asymmetrisch. Auf der linken Seite des Schirms liefen Reihen von Punkten langsam nach oben. Auf der größeren rechten Seite wurden Sätze und ganze Absätze aus leuchtenden Buchstaben dargestellt.
Tory ignorierte die Wörter und wies auf die wandernden Punktmuster. »Ist das die Schrift der Phelaner?«
»Das ist sie. Der Übersetzer verwendet einen Direktäquivalenz-Algorithmus. Das heißt, er wandelt spezifische phelanische Ausdrücke in die treffendste menschliche Entsprechung um.«
»Dann ist das also alles, was wir für Ihr Studium benötigen!«
»Ich bedaure, aber ganz so einfach ist es dann doch nicht. Der Äquivalenz-Algorithmus vermag weder das sogenannte Weltwissen zu transportieren noch den jeweiligen Kontext zu erfassen, die den Daten zugrunde liegen. Die meisten Bildschirminhalte werden zwar in vollständigen Standardsätzen dargestellt, dürften aber trotzdem keinen Sinn für Sie ergeben.«
Tory lachte. »Ich hatte das gleiche Problem, als ich damals mit dem Informatik-Studium begann.«
»Wir haben auch Schwierigkeiten mit menschlichen Sendungen, weil wir die Mentalität des Publikums nicht kennen. Zum Beispiel entgehen den meisten von uns die feineren Nuancen bestimmter Spielarten des Humors, der spät im Nachtzyklus der Sender übertragen wird.«
Tory fragte sich, wie sie Maratel begreiflich machen sollte, dass ein großer Teil des menschlichen Humors — vielleicht sogar der größte — auf Sex basierte. Nicht, dass sie Maratel in dieser Hinsicht für unwissend gehalten hätte. Die Phelaner hatten bereits ein zu großes Verständnis der Menschen demonstriert, um nicht »aufgeklärt« zu sein. Dennoch - wie stark war das Vorstellungsvermögen eines Außerirdischen in dieser Hinsicht ausgeprägt? Anstatt zu versuchen, es ihr zu erklären, deutete sie auf den Bildschirm. »Wie werden die Punkte interpretiert?«
»Die Verbalsymbole der Phelaner werden in einer Fünf-mal-fünf-Punktmatrix dargestellt. Jeder Wort-Ausdruck hat ein ganz bestimmtes Punktmuster, das wir dann in multiplen Matrizen aneinanderreihen, um zusammenhängende Gedanken zu artikulieren.«
»So wie wir Buchstaben verwenden, um Wörter zu bilden?«
»Nein, es entspricht eher den chinesischen Schriftzeichen. Die komplette Matrix
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