Die Segel von Tau-Ceti
Kabine zu verlassen.
Sie lächelte ihn matt an, mit einem Lächeln, das genauso unecht war wie ihre Geschichte mit der Implantatpanne. »Mir geht es gut. Alles, was ich jetzt brauche, ist Ruhe, um mich psychisch wieder >zu erden<.«
»Ich werde den anderen sagen, was passiert ist. Kit kann dich heute Abend untersuchen.«
Dann war Tory allein. Das war ein Gefühl, an das sie sich am besten schon einmal gewöhnte, sagte sie sich. Es wäre nämlich für eine sehr lange Zeit der Normalzustand für sie. Sie zog die Bettdecke mit Händen über sich, die plötzlich zitterten.
Alles ging seinen gewohnten Gang. Die phelanischen Mentoren tauchten jeden Morgen auf, um mit ihren Gästen verschiedene Termine wahrzunehmen. Kit war ganz aus dem Häuschen wegen der medizinischen Techniken, die die Ärzte der Phelaner demonstrierten, und ihre Berichte an die Erde waren mit Superlativen und dem unverständlichen Jargon gespickt, in dem Ärzte kommunizierten. Eli plagte sich weiterhin mit dem Erlernen der phelanischen Sprache. Immerhin vermochte er jetzt schon mit kleinen Kindern zu sprechen — sofern sie nicht zu schnell redeten. Wenn Garth die Änderungen an der Austria einmal nicht beaufsichtigte, verbrachte er die Zeit damit, sich mit Faslorn, Rosswin und den anderen hohen Offizieren des Sternenschiffs zu beraten. Tory brachte auch einige Stunden in der Hangarbucht zu und beaufsichtigte die Techniker der Phelaner. Sie hatte für gewöhnlich die Mittagsschicht. Den Vormittag verbrachte sie mit Maratel.
Für Tory war nichts mehr wie zuvor. Sie erkannte die ganze Operation nun als das, was sie war — ein sorgfältig choreographiertes Ballett, in dem jedes Muskelzucken und Phonem genauso stilisiert war wie bei einer Aufführung des japanischen Kabuki-Theaters. Äußerlich waren die Phelaner so zuvorkommend wie immer. Das einzige Problem bestand darin, dass sie nun die Schnüre sah, an denen die Marionetten hingen. Das vergällte ihr die Freude am Spiel.
Langsam gewann Tory das innere Gleichgewicht und auch ihren Appetit zurück. Sie hasste es noch immer, was Faslorn ihr angetan hatte, aber sie vermochte nun wenigstens daran zu denken, ohne gleich wieder in Wut zu geraten. Die Albträume traten immer seltener auf, und die Abstände zwischen den Visionen von einer Sonne, die plötzlich aufloderte und ihre Welt verschluckte, bemaßen sich nun nach Tagen. Kit führte das auf ihre medizinische Beratung zurück, und das stimmte auch. Dennoch war Torys Erholung von ihrer »Implantatpanne« im Wesentlichen das Ergebnis ihrer inneren Stärke. »Der Mensch«, so hatte ein weiser Mann einmal gesagt, »vermag sich an alles zu gewöhnen - außer an den Tod!« In den Tagen nach ihrer Rekrutierung gelangte Tory zu der Erkenntnis, dass er recht hatte.
Ihre Ausflüge mit Maratel dienten vordergründig dem Zweck, sie mit dem Schiff vertraut zu machen. Doch manchmal waren es wirklich zweckfreie Ausflüge. Einer der ersten Orte, den Maratel ihr zeigte, waren die Spiral-Fälle. Die beiden saßen für eine Stunde an der Stelle, wo der tosende und reißende Strom gegen das Oberdeck des Habitats brandete. Der Lärm war so laut, dass es schwierig war, einen klaren Gedanken zu fassen — und wenn es dann doch gelang, war er schnell wieder vergessen. Die graue Gischt durchnässte Tory bis auf die Knochen, und sie glitt in eine fröstelnde Trance ab, von der alle äußeren Reize abprallten. Später wärmten sie und Maratel ihre ausgekühlten Körper dann unter der hohen Sonnenröhre. Als Tory hinterher auf einem warmen Felsen lag, sagte sie sich, dass das ein ebenso angenehmes wie atavistisches Erlebnis war.
Die meisten Exkursionen mit Maratel waren jedoch geheime Ausbildungseinheiten. Bevor sie bereit war, sich etwas anderes von den Phelanern anzuhören, wollte Tory wissen, wie Tau Ceti überhaupt destabilisiert und zerstört worden war. Die Erklärungen waren kurz und bündig, und, soweit sie es zu beurteilen vermochte, auch vollständig. Sie beinhalteten die Wechselwirkung zwischen Neutrinos auf einem besonderen Energieniveau und dem superdichten Wasserstoffplasma, das im Herzen von Sternen vorliegt. Obwohl es ihr an Hintergrundwissen fehlte, um alles zu verstehen, was man ihr sagte, klang das, was sie verstand, plausibel. Jedenfalls verspürte sie nicht den Wunsch, die Erklärungen der Phelaner in einem praktischen Test nachzuvollziehen.
Nachdem die Phelaner sie davon überzeugt hatten, dass sie tatsächlich in der Lage waren, ihre Drohung
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