Die Seherin der Kelten
ihn und seine Männer zumindest so lange auf, bis die restlichen Krieger Zeit genug hatten, um wieder zu verschwinden. Das ist zwar nicht das, wovon wir geträumt hatten. Und es ist auch ganz und gar nicht das, was wir in unseren Gebeten erfleht haben, doch war dieses Risiko stets gegenwärtig. Wir verlieren also jegliche Ehre, wenn wir nun auch noch das Leben jener, die wir selbst zu uns gerufen haben, leichtfertig aufs Spiel setzen. Sofern also noch die Möglichkeit besteht, dass wir sie wieder nach Hause schicken, dorthin, wo sie in Sicherheit sein werden, um eben ein anderes Mal zu kämpfen, müssen wir ihnen dies ermöglichen. Dubornos, ich möchte, dass du...«
»Nein. Das kann Lanis übernehmen. Ich werde dich nicht verlassen.«
Breacas Gedanken waren bereits vorausgeeilt. Bestürzt besann sie sich wieder auf die Gegenwart. Dubornos schaute sie lächelnd an. Und in seinem Blick lag mit einem Mal eine ehrlichere Belustigung, als Breaca in ihrem gesamten gemeinsamen Erwachsenenleben jemals an ihm hatte entdecken können.
»Fast das Gleiche hatte auch Caradoc versucht«, erwiderte er, »und dann gab er doch nach. Ich werde dich nicht verlassen, und du kannst deine Zeit jetzt nicht mit dem Versuch vergeuden, mich vielleicht doch noch vom Gegenteil zu überzeugen. Außerdem kennt Lanis die Gegend hier viel besser als ich. Und sie ist eine Träumerin; auf sie werden die Krieger also noch eher hören. Sie kann die Evakuierung organisieren.«
»Das kann sie, sicherlich, aber sie hat keinen Eid darauf geleistet, die Kinder der Bodicea zu beschützen oder bei dem Versuch selbst ums Leben zu kommen. Willst du dieser Aufgabe etwa nicht nachkommen, ausgerechnet jetzt, wo wir dich dringender brauchen denn je?«
Breaca hätte ihren Worten gerne ein wenig den Stachel genommen, doch die Zeit drängte. Etwas reserviert entgegnete Dubornos: »Was soll ich tun? Was verlangst du von mir?«
»Nimm Graine und...«
»Nein!« Graine riss sich aus Airmids Griff los und stand nun allein in der Türöffnung. Wütend funkelte sie ihre Mutter an, während sie versuchte, ihre zitternden Lippen zu einer festen Linie zusammenzupressen. Mit der Sonne im Rücken und dem Feuer direkt vor ihr, inmitten zweier Lichtquellen, sah sie nun noch ätherischer aus denn je. »Ich werde nicht ohne dich fortgehen. Und wenn du jetzt ohne mich aufbrichst, werde ich dir eben folgen, und du wirst mich nicht davon abhalten können.«
Auch ihrem Kind konnte Breaca sein Los nicht leichter machen, denn auch dazu war keine Zeit mehr; jeder weitere Herzschlag, der ungenutzt verstrich, brachte sie der Katastrophe nur noch näher.
»Vergib mir«, entgegnete Breaca, »ich liebe dich.« Damit zog sie blitzschnell ihr Messer aus dem Gürtel und versetzte ihrer Tochter mit dem hinteren Ende des Hefts einen Schlag gegen den Kopf nahe der Schläfe, an einer Stelle, wo der Schaden später, wenn Graine wieder zur Besinnung kam, noch der geringste sein würde.
Graine stöhnte und sank bewusstlos zu Boden, wo sie mit blauen Lippen und unter Zuckungen liegen blieb. Dubornos kniete nieder und hob sie vorsichtig auf.
»Warte.« Breaca griff mit beiden Händen nach dem Goldreif, den sie um ihren Hals trug. Sie hatte ihn getragen seit dem Tag nach Tagos’ Tod, als Cygfa ihr den Torques wieder überreicht hatte, und doch hatte sie nicht mehr als die Wärme und das Gewicht seines Metalls gespürt. Jegliche Kraft, die dieser Reif vielleicht einmal besessen hatte, schien verschwunden zu sein. »Den sollte nun besser Graine haben. Du wirst ihn gut verwahren müssen, bis sie alt genug ist...«
Breaca hielt abrupt inne, denn sie konnte auf einmal nicht mehr sprechen. Das gesponnene Gold schien sich plötzlich in dicke, sich umeinander schlingende Schlangen verwandelt zu haben. Sie wanden sich unter ihren Händen, pressten gegen ihre Halsadern, und tief in den Höhlen von Breacas Bewusstsein öffnete sich mit einem Mal eine Schlucht, durch die eine sanfte Bergbrise strich. Sie hätte gegen die Bilder, die der Reif in ihr heraufbeschwor, ankämpfen können, und wahrscheinlich hätte sie dies sogar getan, hätten nicht Airmids Finger, die sich mit einem Mal fest um ihr, Breacas, Handgelenk schlossen, sie davon abgehalten.
Mit sorgsam beherrschter Stimme hob die Träumerin an: »Breaca, du bist noch immer die Erstgeborene der Eceni. Wirf das nicht so einfach weg.«
Langsam zog Breaca ihre Hand wieder zurück, und der Druck um ihren Hals ließ ein wenig nach. Auch die Brise, die
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