Die Seherin von Garmisch
schaltete ab.
»Immerhin ein Überlebender«, sagte er zu Schwemmer.
Die Uniformierten begannen, die Schaulustigen
zurückzudrängen, was wie immer zu Anfang nicht leicht war. Aber Schwemmer wusste
aus eigener Erfahrung, dass die ersten Meter die schwersten waren. Wenn sie
erst einmal in Bewegung waren, konnte man sie vor sich hertreiben, solange man
wollte.
Das Gelände anschließend gegen Schaulustige zu
sichern, würde kein Problem sein. Nur die Profis machten Schwemmer Sorgen.
Schon dass Högewald in der Gegend war, war in einer so unübersichtlichen
Gesamtsituation nicht gut. Und dieser Rumms hier war groß genug gewesen, um
sogar das Fernsehen herzulocken. Er rechnete minütlich mit dem Auftauchen der
ersten Ü-Wagen. Und dabei gab es noch nicht einmal eine Presseerklärung zu dem
toten Oliver Speck.
»Hör zu«, sagte er zu Schafmann. »Wir bilden eine SOKO . Fahr rein und stell den Bedarf
zusammen.«
»Ich will mich nicht drücken, aber wäre eine sitzende
Tätigkeit im Moment nicht eher was für dich ?«
Schwemmer überlegte kurz und ernsthaft.
»Ich brauch frische Luft«, sagte er dann.
»Das wäre nicht mein Rat«, sagte Schafmann. Er klang
ärgerlich. »Du kriegst hier richtig Spaß mit der Presse und so, das weißt du?«
»Schaun mer mal«, sagte Schwemmer. »Als Erstes muss
jemand zu den Eltern von dem Speck. Ich wollt grad los zu denen, als es hier
geknallt hat. Die dürfen das keinesfalls von jemand anderem erfahren.«
»Geht klar«, sagte Schafmann.
»Und dann müssen der Schieb und der Schober zur
Fahndung raus.«
»Mach ich sofort«, sagte Schafmann. »Hoffentlich sind
wir damit nicht was spät dran, zumindest bei einem der beiden …«
»Sei nicht so negativ. Bis jetzt war es nur ein Fuß«,
murmelte Schwemmer.
»Du meinst, der Rest könnte noch rumlaufen?«, fragte
Schafmann.
Schwemmer sparte sich die Antwort.
Sie gingen zur vorderen Absperrung. Hier stand die
Kollegin, die mit ihrem Walkie-Talkie Verbindung zur Leitstelle bei der
Feuerwehr hielt, neben ihr hockte ein leichenblasser Severin Kindel auf dem
Boden. Er starrte fassungslos zu dem Krater hinüber.
»Aber mir hättn doch probn solln, jetzt«, stammelte er
ein ums andere Mal.
»Den kannst du gleich mitnehmen«, sagte Schwemmer.
»Meinst nicht, der steht unter Schock?«, fragte
Schafmann.
»Na gut, ich lass ihn untersuchen und dann
nachliefern.«
»Pfüat di«, sagte Schafmann, was Schwemmer nicht recht
zur Situation zu passen schien. Schafmann ging zügig in Richtung seines Wagens,
und Schwemmer trat zu Severin Kindel, der sich gerade im Wortsinne die Haare
raufte.
»Mei Peavey! Is der a hin?«, stieß er hervor.
Schwemmer hatte keine Ahnung, wer oder was ein Piewie
sein mochte.
»Sie leben, das scheint mir erst mal das Wichtigste«,
sagte er. Er zog den Jungen sanft am Oberarm hoch und führte ihn zum nächsten
Rettungswagens.
Ein Sanitäter dort maß Blutdruck und Puls und reichte
Severin weiter an eine junge Ärztin, die ihn routiniert mit einer Spritze und
ein paar aufmunternden Worten versorgte.
»Und bei Ihnen alles in Ordnung?«, fragte sie, mit
einem kritischen Blick auf Schwemmers Stirnverband.
»Passt schon«, sagte Schwemmer.
»Das möchte ich mir lieber mal anschaun«, erhielt er
zur Antwort, und bevor er sich versah, lag er auf der Liege in der Ambulanz.
Die Ärztin entfernte den Verband und schüttelte den
Kopf. Der Sani reichte ihr an, was immer sie forderte. Schwemmer fühlte etwas
angenehm Kühles an der Wunde, und eine Minute später durfte er wieder
aufstehen.
»Sie gehören ins Bett«, sagte die Ärztin in einem Ton,
der keinen Widerspruch zuließ, deshalb versuchte es Schwemmer auch gar nicht.
»Was ist mit dem Jungen?«, fragte er stattdessen.
»In fünf Minuten geht’s dem besser als Ihnen.«
»Fein«, sagte Schwemmer und stand von der Liege auf.
Er bemühte sich um eine fließende Bewegung, und es gelang ihm auch halbwegs.
»Gehen Sie nach Hause«, sagte die Ärztin. »Sonst
garantiere ich für nichts.«
»Das verlangt auch keiner von Ihnen«, antwortete
Schwemmer und zwinkerte ihr zu. Damit kletterte er aus dem Wagen.
Severin Kindel stand ein paar Meter entfernt und starrte
in Richtung der Ruine, falls das noch das treffende Wort war für die
Fundamentreste, die die Explosion hinterlassen hatte.
»Sie hätten jetzt eigentlich Probe gehabt?«, fragte
Schwemmer.
»Ja«, antwortete Severin leise. »Dann wärn mir alle
viere tot, oder?«
»Höchstwahrscheinlich. Nutzte außer
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