Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Seherin von Knossos

Die Seherin von Knossos

Titel: Die Seherin von Knossos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suzanne Frank
Vom Netzwerk:
dritten sind sie tot.« Spiralenmeister wies auf die ausgestreckt daliegende Gestalt. »Die meisten von ihnen verenden genauso, sie ertrinken in ihren eigenen Lungen oder verhungern, weil sie nicht schlucken können.«
    Als wäre das sein Stichwort, begann der Mann zu würgen, das Gesicht lief bläulich an, seine Augen quollen heraus. Noch bevor sie seine Familie hereinbitten oder ihm irgendeine Medizin verabreichen konnten, war er von ihnen gegangen.
    »Kalo taxidi«, sagte Spiralenmeister und schloss dem Mann die weit aufgerissenen Augen. »Ruf seine Frauen herein, damit sie die Kollyva bereiten.«
    Erschüttert durch das plötzliche Ableben des Mannes trat Phoebus nach nebenan. »Eurer Herr braucht sein Mahl, er hat seine letzte Reise angetreten«, sagte er leise.
    Die Frauen begannen zu weinen. Die nächsten neun Nächte würden sie seine Leibspeisen zubereiten, damit er keinen Hunger zu leiden brauchte, so lange er in die nächste Welt reiste. Es war die letzte Ehre, die ihm seine Familie erweisen konnte.
    Phoebus stellte sich ans Fenster, wo mattes Sonnenlicht auf die Straße draußen fiel und zwei Kinder lärmend auf dem Pflaster spielten. Die Sippe der Olympier erwies ihren Toten auf ganz andere, weitaus deutlichere Weise die letzte Ehre.
    Der Aufsteigende Goldene schauderte.
    4. KAPITEL
    KAPHTOR
    Der abnehmende Mond hauchte seinen silbrigen Atem über die Landschaft. Das Licht der Flammen züngelte über die versammelten Frauen und den nackten Leib der jungen Braut. Mittlerweile bedeckten die aufgemalten Hochzeitszeichen fast ihren ganzen Körper und verwandelten ihr festes junges Fleisch in etwas Mysteriöses, Göttliches.
    Mystische Mondsichel-, Hörner-, Knoten- und Vogelsymbole wurden mit labyrinthischen Mustern ineinander verwoben.
    Sibylla spürte die Nachtluft auf ihrer nackten Brust und das Haar auf ihrem freien Rücken. Mit einem Gebet an Kela warf sie die Kräuter ins Feuer, damit ihre Süße und Schärfe auf den Funken in den Himmel hinaufgetragen werde. Heute war Kelas Blutnacht. Die Nacht der Reinigung. Der nächste Morgen würde einen neuen Anfang bringen.
    Für die Braut, indem sie sich in das Bett ihres Gemahls legte, für andere, indem die letzte Woche vor der Begrüßung Kelas anbrach. Die Jahreszeiten wechselten. Schon war der Wind wärmer, schien die Sonne länger. Überall zeigten sich Zeichen des Neubeginns.
    Sie spürte die Wärme des Feuers auf ihrer Haut, das ihren Bauch aufheizte und ihren Rücken noch kälter wirken ließ. Aus einem unerfindlichen Grund war sie heute Nacht nicht mit sich im Einklang. Ihr Körper kam ihr auf geradezu peinigende Weise empfindlich vor - sie spürte jedes noch so dünne Haar auf ihrem Leib, sie nahm jeden Fleck ihrer Haut wahr. Sie verzehrte sich nach etwas, in einer undefinierbaren Lust. Sibylla fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. Die heutige Nacht war eigentlich der Freude und Ekstase geweiht, nicht dem Nachdenken und Sinnieren.
    Bedächtig kaute sie ein Lorbeerblatt und warf den Kopf zurück, als sie spürte, wie die Nacht sie umarmte. Sie drehte dem Feuer den Rücken zu, wissend, dass ihr Körper nun von den Flammen umrahmt wurde. Mit erhobener Stimme begann sie zu singen, ihren Leib langsam wiegend und Kelas Weisheit preisend, in der sie die Frauen erschaffen hatte. Die Schritte, die sie sonst ohne einen einzigen Gedanken ausgeführt hatte, kamen ihr heute Nacht abgehackt und schwerfällig vor, und ihr Geist fühlte sich zwiegespalten an. Bei nächster Gelegenheit muss ich unbedingt Tanzstunden nehmen, hörte sie eine Stimme in ihrem Kopf.
    Die anderen begannen ebenfalls zu tanzen. Nackte Frauen: alte, junge, schwangere, hinfällige. Mit Wein in den Adern und Freude in der Seele suchten sie im Tanz spirituelle Freiheit. Immer mehr Frauen tauchten aus den Schatten auf, immer mehr Stimmen waren zu hören, jede mit einem eigenen Lied, bis die daraus entstehende Dissonanz eine selbstverständliche, von allen hingenommene Dimension der Schönheit erreichte.
    Langsam tanzten sie um das Feuer herum, reichten den Weinschlauch weiter, gaben sich ihren Gefühlen hin. Der Tanz wurde schneller, enger, bis all die flüssigen Bewegungen zu einer einzigen verschmolzen. Sibylla spürte einen Arm um ihre Taille und packte die Schultern der Frau neben ihr, bis sie sich in einem Taumel aus Schweiß und Düften drehten und ihr eigenes Mysterium feierten.
    Ganz dicht am Feuer tanzte für sich allein die junge Braut, damit beschäftigt, ihren Körper kennen zu

Weitere Kostenlose Bücher