Die Sehnsucht der Falter
sie kaufte. Das ist viel schlimmer, als bei der Versammlung Kirchenlieder zu singen. Es ist bestimmt eine Sünde, wenn eine Jüdin ein Kreuz kauft. Ich werde mich unbehaglich fühlen, wenn ich in mein Zimmer gehe. Ich muss mir immer wieder sagen, dass ich nicht versuche, eine Christin zu sein. Das habe ich an den Mädchen in der Schule immer gehasst, sogar an Lucy: ihre aalglatte Überlegenheit, weil sie Christen sind, so als ob ich mich insgeheim danach sehnte, wie sie zu sein. Kein Mensch, der dieser Religion angehört, glaubt wirklich daran. Sich als Christ zu bezeichnen ist nicht anders, als sich zu bestimmten Kleidern zu bekennen. Die Kirchen sind wie Mrs. Haltons Wohnzimmer: man traut sich nicht, sich hinzusetzen oder etwas anzufassen, Schweiß oder Fingerabdrücke zu hinterlassen. Am liebsten mag ich Kirchen, die nur noch Ruinen sind, mit einem Boden aus Gras und Erde und dem Himmel als Decke.
26. März
Am meisten bedauere ich die Kinder, die ohne eigenes Verschulden zu Vampiren werden. Sie sind unwissende Opfer – weil sie in der Karwoche empfangen wurden, die unehelichen Nachkommen unehelich geborener Eltern sind, als siebtes Kind oder mit einem roten Wehmutterhäublein oder einem anderen Makel geboren werden. Kinder, die an Weihnachten geboren werden, sind verdammt, Vampire zu werden, um für die Eitelkeit ihrer Mutter zu büßen, die sie am selben Tag empfangen hat wie die Jungfrau Maria.
Warum sollten Kinder für die Sünden ihrer Eltern bezahlen? Ist es nicht schlimm genug, überhaupt geboren zu werden?
Lucy gibt jedem nach. Sie ist schwach, und ich muss nun auf sie Acht geben.
27. März
Gibt es etwas Schlimmeres als die Leute, die in die Kirche gehen und zur Heiligen Dreifaltigkeit beten? Zu Geistern? Christus ist von den Toten erstanden. An etwas zu glauben, das sich nicht beweisen lässt, macht es noch schöner. Man fühlt sich frei, auch wenn es erschreckend ist. Man hat sich entschieden.
28. März
Ich bin so wütend auf meine Mutter. Ich wollte als Erste in der Schule sein. Sie hatte noch etwas zu erledigen, einen Anruf, alle möglichen blöden Kleinigkeiten. Als ich ankam, waren alle da, einschließlich Lucy. Es war zu spät. Ihr Zimmer war voller Mädchen. Alle wollten zu ihr. Ernessa hielt sich fern. Ich weiß nicht, ob sie schon zurück ist. Wissen sie, dass ich sie in jener Nacht zusammen gesehen habe? Kümmert es sie überhaupt?
Als ich in ihr Zimmer kam und sie von Mädchen umringt auf dem Bett sitzen sah und hörte, wie sie über die dummen Witze lachte, dachte ich, sie ist genau wie immer. Doch als sie aufstand und ins Bad ging, begriff ich, wie sehr ich mich geirrt hatte. Sie scheint nur dieselbe zu sein. Alles an ihr ist verblichen. Ihre Haut ist so blass und glatt, dass sie bläulich schimmert. Sie hat keinen einzigen Pickel. Sie bewegt sich langsam und mit Bedacht, als müsste sie vor jedem Schritt überlegen, wohin sie den Fuß setzt. Ich wurde ungeduldig vom Zusehen.
Ich konnte ihr nur die Kette aus getrockneten Wacholderbeeren geben. Sie schien sich gar nicht dafür zu interessieren, aber ich bestand darauf, dass sie sie an ihr Bett hängte. Ich hängte sie selbst auf. Wenn ich nicht betont hätte, dass sie ein Geschenk meines Vaters sei, hätte sie mich vermutlich sogar davon abgehalten.
Ich blieb in ihrem Zimmer, damit sie die Kette nicht wieder abnahm.
30. März
Der Frühling ist verdorben. Nichts kann ihn retten, nicht mal die japanischen Zierkirschen.
Letztes Jahr habe ich mich den ganzen Winter auf die blühenden Kirschbäume am oberen Sportplatz gefreut. Das war das Glück meines ersten Jahres: der Frühling. Ich ließ mich von ihm erfreuen. Mein Vater hätte es so gewollt. Die Natur war seine Religion. Eines Morgens kam ich nach dem Frühstück nach draußen, und die Kirschbäume standen in voller Blüte. Über Nacht hatten sich die festen Knospen entfaltet. Nachmittags setzte ich mich unter die Bäume und las stundenlang. Ich wollte so viel Zeit wie möglich unter diesem rosa Schleier verbringen. Jeden Tag saß ich dort, bis alle Blüten abgefallen und die dicke rosa Matte faulig braun geworden war. An einem Tag ging ein Wind, und die Blütenblätter rieselten wie rosiger Schnee auf mich herunter.
Letztes Jahr holte Lucy mich um sechs Uhr aus dem Bett, um vor dem Frühstück Lacrosse zu trainieren. Sie war davon überzeugt, dass ich es mit ihr zusammen in die A-Mannschaft schaffen würde, weil ich so schnell laufen kann. Ich verstand nie, dass jemand wie ich,
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