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Die Sehnsucht der Falter

Die Sehnsucht der Falter

Titel: Die Sehnsucht der Falter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Klein
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Mund von innen blauschwarz war, sogar unter der Zunge, und ihre Zähne waren ähnlich verfärbt, vor allem an den Spitzen. Sie sah aus wie wenn wir im Sommer frischen Blaubeerkuchen essen.
14. April
Nach dem Abendessen
    Heute Abend war Ernessa nicht bei uns am Tisch. Sie hat es geschafft, mit einer Zehntklässlerin zu tauschen, die bei Mrs. Halton saß. Ich habe noch nie erlebt, dass jemand die Sitzordnung hätte ändern können. Das geht nicht mal, wenn man Sport macht und spät noch ein Spiel hat. Allerdings hat es wohl auch noch niemand versucht. Ich wüsste gern, mit welcher Entschuldigung es ihr gelungen ist. Keiner hat ein Wort darüber verloren. Die anderen Mädchen taten, als wäre es völlig normal. Ich fragte die Zehntklässlerin, weshalb sie mit Ernessa getauscht hätte, und sie erzählte etwas von einem »Konflikt«.
    Sie sah heute Abend nicht gut aus. Ich beobachtete sie, als sie den Speisesaal verließ. Sie erinnerte mich an Annie Patterson.
    Es liegt am Schwimmen. Ganz sicher. Heute war der dritte Tag.
    Heute Nachmittag nach der letzten Stunde habe ich gesehen, wie Ernessa in den Umkleideraum beim Schwimmbecken ging. Ich habe am Wasserspender gewartet und getan, als würde ich trinken, dann ging ich hinterher. Sie war schon weg. Ich ging durch die Duschen, über den feuchten, schimmeligen Zementboden bis zu den Stufen, die zum Becken führen. Wenn es kalt ist oder regnet, gehen wir schon mal durchs Schwimmbad, wenn wir zu den Umkleideräumen bei der Turnhalle wollen. Das ist nicht ungewöhnlich. Der Chlorgeruch war in den Duschraum gedrungen, doch als ich die Tür zum Schwimmbad öffnete und in die warme, feuchte Luft trat, musste ich würgen. Ernessa stand am Fenster und legte gerade ihr winziges weißes Handtuch behutsam auf die Fensterbank.
    »Duschen!«, brüllte Miss Bobbie.
    Wir müssen vor den Augen der Sportlehrerin duschen, bevor wir ins Becken dürfen. Ich hasse den unvermittelten kalten Wasserstrahl. Ich laufe immer unter der Dusche hin und her, ohne richtig nass zu werden. Ernessa ging zur Dusche, zog an der Kette und stellte sich ungerührt unter den Wasserstrahl. Das Wasser rann von ihrem Körper auf den Boden, und ihr verblichener Badeanzug färbte sich dunkelblau. Sie wäre noch länger stehen geblieben, doch Miss Bobbie unterbrach sie: »Und jetzt ins Becken!«
    Ernessa ließ die Kette los und ging langsam ans Ende des Beckens. Sie hatte die Arme fest um den Körper geschlungen. Lucy hatte Recht. Irgendetwas stimmt nicht mit ihr. Ihr Gesicht war dunkelrot, aber die Haut an Oberarmen und Oberschenkeln sah ganz weiß aus, als wäre sie noch nie mit der Sonne in Berührung gekommen, und war mit kleinen braunen Flecken übersät. Sie sah aus wie Schlangenhaut.
    Ernessa schaute mich nicht an, als ich am Becken entlangging. Da war nur das Wasser.
    »Ins Wasser. Wir haben nicht den ganzen Nachmittag Zeit«, bellte Miss Bobbie, obwohl sie direkt neben Ernessa stand. Ihr Stimme hing in der Luft. Ich wartete auf den schrillen Pfiff aus der silbernen Pfeife, die sie an einer Kette um den Hals trug.
    Ernessa ließ sich vom Rand ins Wasser fallen. Sie hatte die Arme noch immer fest überkreuzt; ihre Finger gruben sich in die Haut der Oberarme. Die Wasseroberfläche kräuselte sich kaum. Ihr Körper sank bis auf den Boden und blieb lange reglos liegen. Zu lange. Miss Bobbie sah ungerührt zu, wie Ernessa langsam, ganz langsam, auftauchte, als steckte sie in dickem, schwerem Öl. Ich dachte schon, sie würde nie mehr an die Oberfläche kommen, doch schließlich hob sich ihr Kopf mit der weißen Badekappe aus dem Wasser. Sie neigte ihn zur Seite, um Luft zu holen. Nach wenigen Sekunden bewegte sie sich vorwärts. Sie schlug mit den Armen und warf den Kopf hin und her. Schwimmen war das nicht. Sie geriet in Panik. Miss Bobbie tat, als wäre nichts geschehen. Sie ging über den glatten grünen Fliesenboden, trat näher an den Rand. Wasser spritzte auf ihre weißen Turnschuhe, doch sie beugte sich einfach vor und rief nutzlose Anweisungen hinunter: »Beine hoch. Kopf runter. Ellbogen beugen. Zehen strecken.« Ernessa strampelte weiter.
    Ist das etwa ihre Schwachstelle? Ist Wasser das Medium, das ihr die Kraft nimmt? Sie ist es gewöhnt, im Vorteil zu sein. Dora besaß keine Flügel und begegnete jemandem, der welche hatte. Im Wasser sind Flügel nutzlos.
15. April
    Heute hat Sofia Geburtstag. Sie wird siebzehn. Ich habe ihr eine geschnitzte indische Holzdose geschenkt, die mit purpurrotem Samt

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