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Die Sehnsucht der Konkubine

Die Sehnsucht der Konkubine

Titel: Die Sehnsucht der Konkubine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Furnivall
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laut, dass es auch ihre russischen Begleiter hören konnten. Zwar sprach er Mandarin, doch wich ihnen ein Dolmetscher niemals von der Seite. »In den Kreml zu einem Gespräch mit Stalin eingeladen zu werden wird es uns später ermöglichen, Mao Tse-tung die Gedanken des großen Anführers zu übermitteln. Mao wird uns untertänigst dankbar sein. China braucht eine solche Anleitung, wie die Ideale des Kommunismus unter dem Volk verbreitet werden können.«
    Biao schaute ihn an, nur ein blitzschneller Blick von der Seite. Chang musste sich ein Lächeln verkneifen. Selbst dieser junge Soldat hier wusste, dass es an Mao keine Untertänigkeit gab, nicht einmal in der Spitze seines kleinen Fingers. Trotzdem würde es von großem Interesse sein, Zugang zum innersten Kern des sowjetischen Systems zu erhalten und im Kreml mit dem Mann reden zu können, der die Zügel der Macht in der Hand hielt. Dass auch eine gewisse Gefahr in der Sache lag, machte die Delegation an diesem Morgen nervös und einsilbig. Als wüsste sie, dass es durchaus sein konnte, dass man sie zwar hinein-, aber niemals wieder herauslassen würde, wie Fliegen, die in einem Spinnennetz gefangen waren.
    Es war ein strahlender Tag, die Straßen waren in Sonnenlicht gebadet. Ein blauer Himmel war an die Stelle der Regenwolken von gestern getreten, dennoch wurde Chang das Herz schwer, denn es war nicht der Kreml, in dessen Richtung seine Füße gerne eingeschlagen hätten. Der gefrorene Schnee in den Bäumen gegenüber dem Hotel glitzerte verführerisch, Menschen gingen darunter spazieren, junge Paare, Hand in Hand. Er wandte den Blick ab.
    Wo auch immer er und die chinesische Delegation hinkamen, machten Soldaten den Weg für sie frei, schoben die Leute beiseite, als wollten sie die Delegierten vor einer Ansteckung schützen. Oder ging es eher umgekehrt darum, die anderen vor ihnen zu schützen? Am Bordstein warteten geduldig drei Staatskarossen mit Hammer-und-Sichel-Standarte und leise surrendem Motor. Ihre ständige Begleiterin, eine gestrenge Frau in Uniform, öffnete den Schlag einer der Karossen und schenkte ihnen ein steifes Lächeln, aber gerade als Chang in das gepolsterte Innere des Wagens steigen wollte, hörte er jemanden rufen.
    Es war ein Junge. Nicht mehr als zehn oder zwölf Jahre alt, dünn wie ein Wiesel, doch schnell wie der Blitz. Er hatte sich bereits an einem Soldaten vorbeigeschlängelt, sich aus dem Griff eines anderen befreit und lief jetzt quer über den leeren Vorplatz des Hotels, als hätte ihn jemand in Brand gesetzt.
    Chang ging das Herz auf. Mit zwei großen Schritten trat er dem Jungen in den Weg und brachte ihn aus dem Gleichgewicht, so dass er zu Boden ging. Es dauerte kaum länger als die Zeit, in der ein Gott die Stirn runzelt, aber einen Moment lang lagen sie sich Auge in Auge gegenüber. Dann schoss die behandschuhte Hand eines Soldaten zwischen die beiden, packte den Straßenjungen und schüttelte ihn so heftig, dass ihm der Lappen, den er sich statt einer Mütze um den Kopf gebunden hatte, herunterfiel und den Blick auf einen flachsblonden Haarschopf freigab. Die offizielle Begleiterin der Delegation kam zu Chang herübergelaufen. Ihre Miene war streng und verärgert. Doch da war auch noch etwas anderes. Es war Angst. Sie hatte Angst, er würde sie wegen ihrer Inkompetenz melden.
    »Genosse Chang«, sagte sie schnell. »Ich muss mich entschuldigen. Der Junge wird bestraft.«
    »Lasst ihn gehen.«
    » Njet . Dem Streuner muss eine Lektion erteilt werden.«
    »Lass ihn gehen, Genossin.«
    Changs Ton war ganz ruhig. Die Begleiterin musterte ihn einen Moment lang und rückte dann den Kragen ihres Militärmantels zurecht.
    »Ihr lasst ihn gehen, Genossin«, sagte er noch einmal. Es war unmissverständlich ein Befehl. Er wandte sich an den Soldaten, der dem Jungen den Arm auf dem Rücken verdrehte. »Lass ihn los. Er hat mir nichts getan.«
    Die Begleiterin nickte kurz, und der Soldat ließ los. Auf der Stelle lief der Junge davon, die Straße hoch, und war schneller in der Menge verschwunden als eine Ratte in einem Abflussrohr. Ohne Kommentar nahm Chang im Wagen Platz und nickte anerkennend, als die Begleiterin ihnen auf dem Weg die neuesten Bauten erklärte, die verbesserte Straßenbeleuchtung sowie die Verbreiterung der Straßen.
    »Sehr gut«, murmelte er.
    Erst als sie und die anderen Mitglieder seiner Delegation in den Kreml mit seinen gewaltigen, roten Mauern und den schimmernden Dächern einfuhren, schob Chang

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