Die Sehnsucht der Konkubine
»Jetzt mach das Tor auf. Bystro. Schnell.«
Der Soldat trat in sein Häuschen zurück und sprach eine halbe Minute lang in ein Telefon. Dann gingen die Tore mit einem Quietschen auf, und Jens fuhr hinein. Eine schreckliche halbe Minute lang hatte er geglaubt, man würde ihm den Zugang verweigern, doch nein, jetzt war er drinnen. Diesmal blickte er sich mit anderen Augen auf dem Gelände um, nahm das langsame Kreisen der Scheinwerfer wahr, die mit ihren Lichtkegeln die frühmorgendliche Dunkelheit erkundeten, die uniformierten Gestalten, die wie aufgeschreckte Hühner auf dem Gelände herumliefen, als sich die Nachricht von dem Überfall verbreitete.
Er wurde in einen schmucklosen Raum gebracht, in dem er noch nie gewesen war, und von einem Offizier verhört, der um den Mund einen strengen Zug hatte, während seine blauen Augen vor Erregung leuchteten, weil er es kaum erwarten konnte, in Aktion zu treten. Als er Jens alle Informationen entlockt hatte, entließ er ihn mit einem Winken, und so fand sich Jens urplötzlich draußen auf dem Gelände wieder, mitten in einem wilden Durcheinander aus Schreien, Befehlen und herumlaufenden Soldaten, während das durchdringende Schrillen einer Alarmsirene die frühe Morgenluft durchschnitt wie ein Hackebeil.
Der Rest war leicht.
»Ich fange jetzt trotzdem mit der Arbeit an«, sagte er zu seinem Begleiter.
»Hat man dir diese Anordnung gegeben?«
»Ja.«
Er schlenderte zu dem großen Hangar hinüber. Da der Soldat nicht recht wusste, was er mit dem einzelnen Gefangenen anfangen sollte, quittierte er es mit Erleichterung, als die Entscheidung für ihn getroffen wurde. Vor der kleinen Seitentür patrouillierten die beiden schwarz gekleideten Männer, die sich normalerweise eher unauffällig im Schatten hielten, um auch die kleinste Handlung der Gefangenen mit Argusaugen zu überwachen. Heute jedoch winkten sie ihn hinein, ohne ihm zu folgen. Ihre Brillen blinkten auf, als das Licht der Suchscheinwerfer sie traf, und zum ersten Mal in all der Zeit sah Jens sie lächeln. Doch ihr Lächeln galt nicht ihm, sondern der hektischen Betriebsamkeit, die unter ihren Kameraden ausgebrochen war.
Jens wusste, dass er jetzt schnell sein musste. Zuerst die Doppeldecker. Er lief die Längsseite des riesigen Hangars entlang, verkniff es sich, zu dem wunderschönen silbrigen Wesen hochzuschauen, das über ihm in der Luft schwebte, und lief eilig durch die Hintertür zu dem kleineren Hangar, der sich an den größeren anschloss. Hier drinnen war es bitterkalt, man hatte das Gefühl, ein Kühlhaus zu betreten. Das elektrische Licht wirkte dumpf und schummrig, weil einige der Birnen über Nacht zersprungen waren. Das geschah ständig. Voller Zuneigung betrachtete er die beiden Doppeldecker aus Holz und Leinwand und strich mit einer Hand am unteren Flügelpaar entlang. Unter seinen Fingern fühlte sich die Hülle fast wie menschliche Haut an.
»Bald wirst du dich aufwärmen«, sagte er und merkte, wie traurig seine Stimme dabei klang.
Er zögerte. Eine Sekunde lang geriet seine Entscheidung ins Wanken. Noch konnte er zurück, es war noch nicht zu spät.
»Lydia, würdest du schlechter von mir denken, wenn ich es täte?«, murmelte er. »Du weißt doch aus meinem Brief, was ich getan habe, und trotzdem bist du heute zu mir gekommen.«
Ganz plötzlich, ohne Vorwarnung, drohte ihn die Großzügigkeit ihrer Liebe zu überwältigen, und zum ersten Mal seit Jahren wallten Tränen in seinen Augen auf. Er spürte, wie ihm die Brust eng wurde. Nein, kein Zurück. Besser, er ging diesen Weg. Er konnte es nicht zulassen, dass die Männer in dem Lager Surkow starben. Aus den Taschen zog er zwei Ärmel, die er von seinem Ersatzhemd abgeschnitten hatte. Er ging zu einem grünen Metallfass mit Kerosin, das in einer Ecke des Hangars stand, schraubte den Deckel ab und tauchte je eine Hälfte der Ärmel in die Brennflüssigkeit. Von den Dämpfen tat ihm der Kopf weh. Oder war es sein Kummer?
Er brauchte nicht mehr als fünf Sekunden, dann war die Sache erledigt. Er holte sein Feuerzeug heraus, ließ eine Flamme aufflackern, hielt sie zuerst an den einen und dann an den anderen kerosingetränkten Ärmel. Als beide wie Fackeln brannten, warf er jeweils einen in die offenen Cockpits der Flugzeuge, wo sie sofort knisternd ein Feuer entfachten. Flammen leckten an den Sitzen wie gierige Zungen.
Er stand nur ein paar Sekunden lang da und sah dabei zu, wie seine schönsten Hoffnungen lichterloh in Flammen
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