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Die Sehnsucht der Konkubine

Die Sehnsucht der Konkubine

Titel: Die Sehnsucht der Konkubine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Furnivall
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flüsterte sie. »Ich liebte seine Ohren.«
    »Seine Ohren?«
    »Wie sie zuckten und sich hin- und herbewegten, wenn er sich freute. Oder wie er sie anlegte, wenn ihn etwas ärgerte. Ich fand, sie waren so ausdrucksvoll, als wären sie verzaubert. Ich wollte auch solche Ohren haben.«
    Sie konnte Alexejs Lächeln in der Dunkelheit eher spüren als sehen. »Jens hat mich oft zum Reiten mitgenommen. Ich hockte wie ein Äffchen vor ihm auf Heros’ Sattel, und als ich später alt genug war, um selber ein Pony zu reiten, sind wir häufig am Nachmittag miteinander ausgeritten, nur wir beide.«
    Lydia entfuhr ein kleiner Laut des Staunens.
    »Oft sind wir am Ufer der Newa entlanggeritten.« Zwar sprach Alexej mit ihr, doch sie spürte, dass er eigentlich weit, weit weg war. »Dann sind wir den ganzen Weg durch den Wald galoppiert.«
    Wir. Immer dieses Wir.
    »Wir lachten ziemlich viel bei diesen Ausritten. Ganz besonders mochte ich es im Herbst, wenn die Blätter an den Bäumen so leuchtend bunt waren, dass es aussah, als stünden sie in Flammen. Bis er mich dann eines Tages – ich muss sieben Jahre alt gewesen sein – vor sich hinstellte, mir die Arme steif an die Seiten presste, als wäre ich ein kleiner Soldat, der strammstehen muss, und mir sagte, er könne mich nicht mehr jeden Samstag besuchen kommen.«
    Lydia hatte ein Ohr für all die kleinen Pausen, die Alexej zwischen den Worten machte. Beide konnten den Grund für das jähe Ausbleiben von Jens ’ regelmäßigen Besuchen erahnen, doch es war Alexej, der ihn aussprach.
    »Damals muss er wohl Valentina, deine Mutter, näher kennen gelernt haben. Offenbar musste er daraufhin aufhören, sich mit meiner Mutter zu treffen.«
    »Hast du ihn danach nie wiedergesehen?«
    »Doch. Ein ganzes Jahr verlor ich ihn aus den Augen und hatte nicht die leiseste Ahnung, warum. Ich hatte ihn hinter geschlossenen Türen mit meiner Mutter streiten hören und gab ihr deshalb die Schuld. Aber dann kam er zurück, ohne es mir vorher zu sagen.«
    Lydia starrte Alexej verblüfft an.
    »Jetzt guck nicht so schockiert«, sagte er. »Es war nicht oft. Er kam an Geburtstagen und für eine Schlittenfahrt an Weihnachten. Und hin und wieder sind wir auch miteinander durch den Wald galoppiert. Das ist alles.«
    »Wie hast du ihn genannt?«
    »Ich nannte ihn djadja. Onkel. Onkel Jens.«
    Lydia sagte nichts.
    »Er brachte mir das Springreiten bei. Über die Äste auf dem Waldboden habe ich es problemlos geschafft, da bin ich auf meinem Pony einfach drübergesprungen, aber dann ließ er mich über größere Hindernisse wie Zäune und Bäche springen. Er brüllte vor Lachen, wenn ich runterfiel, und manchmal …« Alexej gluckste, ein Geräusch, das tief aus seiner Kehle kam. »Manchmal hab ich mich absichtlich aus dem Sattel fallen lassen, nur um dieses Lachen zu hören.«
    Lydia sah die beiden vor sich. Einen kleinen Jungen, die grünen Augen leuchtend vor Aufregung. Und sein rothaariger Vater, der ihm auf seinem Braunen vorausritt. Die Sonne stand tief am Himmel und übergoss die beiden mit einem goldenen Schein. Die herbstlich bunten Blätter bildeten einen raschelnden Teppich unter ihren Hufen.
    Sie hatte das Gefühl, ihr Herz würde gleich zerspringen vor Neid.
    In dem Zug war es kalt. Trotzdem schafften es die meisten der Passagiere, auf ihren Sitzen zu schlafen, die Köpfe zur Seite geneigt, während der Zug ratternd durch die Nacht fuhr. Manchmal, zwischendurch, vergewisserte sich Lydias erschöpfter Verstand bestimmter Dinge, während sie in ihre Decke gehüllt dasaß. Da war Alexej, der neben ihr saß, selbst im Schlaf aufrecht. Und sie hörte den rhythmischen Herzschlag des Zuges, in jeder Umdrehung seiner Räder. Doch außerhalb seiner abgedunkelten Fenster hatte scheinbar jegliches Leben aufgehört zu existieren. Sie schloss die Augen. Nicht weil sie schläfrig war, sondern weil sie den Anblick dieses gewaltigen Nichts nicht ertragen konnte. Es war einfach zu erdrückend. Wie es an die Fenster klopfte. Durch die Ritzen sickerte. Sich um ihre Fußknöchel legte.
    Der Schlaf wollte nicht kommen. Auch störte es sie, wie launisch dieser Zug zu sein schien, der ohne erkennbaren Grund manchmal stehen blieb und dann wieder weiterfuhr, so dass die Stunden in der Finsternis nur schleppend vorangingen. Doch kaum hatte sie die Augen geschlossen, standen wieder andere Bilder vor ihrem inneren Auge, Bilder von Chang An Lo, wie er vor ihr kauerte, die dunklen Augen auf sie gerichtet, wie damals,

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