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Die Sehnsucht der Konkubine

Die Sehnsucht der Konkubine

Titel: Die Sehnsucht der Konkubine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Furnivall
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ein Hund es mit einer Gans trieb – es passte einfach nicht. Chang zog die Stirn in Falten, weil ihn plötzlich Unbehagen überkam, aber das konnte die Begeisterung seines Genossen nicht schmälern.
    »Gewehre«, gurrte Luo. Er holte eines aus der Kiste und fuhr zärtlich mit der Hand darüber, so als würde er den Schenkel einer Frau streicheln. »Schöne, gut geölte kleine Huren. Hunderte von ihnen.«
    »Diesen Winter«, sagte Chang und grinste seinen Freund an, »werden die Ausbildungslager in der Provinz Hunan so wohl gefüllt sein wie der Bauch eines tu-hao mit Reis.«
    »Tschu En-lai wird mehr als zufrieden sein. Und es wird auch nicht schaden, dass wir diejenigen sind, die eine solche Ernte für ihn einfahren.«
    Chang nickte, doch in seinem Kopf jagte ein Gedanke den nächsten.
    »Tschu En-lai ist ein Genie«, fügte Luo loyal hinzu. »Er baut unsere Rote Armee voller Inspiration auf.« Er hob das Gewehr und zielte zur Probe über Kimme und Korn. »Du bist ihm schon mal begegnet, stimmt’s, Chang?«
    »Ja, xie xie , ich hatte die Ehre. In Shanghai, als ich noch beim Nachrichtendienst war.«
    »Sag uns, wie ist er, der große Mann?«
    Chang wusste, dass Luo bedeutende Worte von ihm hören wollte, doch irgendwie wollten sie ihm nicht über die Lippen kommen, nicht für Tschu En-lai, den Leiter des Hauptquartiers in Shanghai.
    »Er besitzt den Charme eines Seidenhandschuhs«, murmelte er stattdessen. »Zart legt er sich über deine Haut und hält dich dennoch fest in seinem Griff. Ein schmales, wohl geformtes Gesicht mit Brille, mit der er seine … seine nachdenklichen Augen zu verbergen sucht.«
    Seine slawischen Augen. Slawisch und skrupellos. Ein Mann, der alles tun würde – wirklich alles, auch wenn es bedeutete, brutal zu anderen zu sein oder sich selbst zu erniedrigen –, um seinen Herren zu dienen. Und seine Herren saßen in Moskau. Doch nichts von alldem sagte Chang.
    Stattdessen fügte er hinzu: »Er ist wie du, Luo. Sein Mund ist so groß wie der eines Flusspferdes, und er redet eine Menge. Seine Ansprachen dauern Stunden.« Er schlug mit der flachen Hand auf eine der Kisten. »Komm, laden wir die hier auf die Lasttiere, bevor …«
    Eine plötzliche Explosion ließ ihn verstummen, ein dumpfes Rumpeln von draußen, das den Holzboden des Waggons zum Beben brachte. Es kam von irgendwo in der Nähe, und die beiden Männer reagierten prompt, indem sie vom Waggon sprangen, die Pistolen in der Hand. Doch in dem Moment, als sie auf dem vereisten Boden ankamen und schliddernd nach Halt suchten, hielten sie inne – denn direkt vor ihnen lag zwischen den Felsen ein hoher Metalltresor. Jemand hatte die Tür gesprengt. Eine Gruppe aufgeregter Soldaten aus Luos Truppen umringte ihn.
    »Wang!«, rief Luo barsch nach seinem ersten Offizier. »Was, beim blauen Hintern eines Affen, macht ihr da?«
    Wang war ein untersetzter junger Mann mit dicken Augenbrauen und einem kurzen, fleischigen Hals, der ihm das Aussehen eines Stiers verlieh, der jederzeit mit gesenkten Hörnern zum Angriff übergehen könnte. Er löste sich von dem Grüppchen und marschierte zu seinem Vorgesetzten hinüber, ein Bündel Papiere in der ausgestreckten Hand.
    »Der Tresor ist dort aus dem Wagen gestürzt.« Er zeigte auf einen Haufen verbogenen Metalls.
    Der erste Waggon hatte die volle Wucht der ersten Explosion abbekommen, die den Zug zum Entgleisen gebracht hatte. Er war auf den Boden des Tales gekippt und hatte seinen ganzen Inhalt – mehrere uniformierte Offiziere sowie den grünen Tresor – über dem felsigen Untergrund verteilt, bevor er mit seinem gewaltigen Gewicht alles und jeden unter sich begraben hatte, was sich noch in seinem Inneren befand.
    Respektvoll, aber auch mit einem triumphierenden Funkeln in den Augen streckte Wang die Faust aus. »Ich habe mir erlaubt, seine Tür zu öffnen.«
    Chang An Lo nahm von dem Soldaten die Papiere entgegen. Während er die erste Seite überflog, schien ihm, als komme die Welt langsam zum Stillstand. Soldaten machten sich um ihn herum zu schaffen, stellten Gefangene in kümmerlichen Reihen auf, doch es war, als hätten sie alle Bleigewichte an den Füßen, denn sie schienen Chang kaum mehr als ein träges, verschwommenes Bild am Rande seines Gesichtsfeldes. Er packte die Papiere fester.
    »Du hattest Recht«, brummte Luo Wen-cai. »Es sind tatsächlich Dokumente im Zug.«
    Chang nickte. Er machte einen Schritt vorwärts und packte Wang am Revers seiner Uniformjacke. Die Augen des ersten

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