Die Sehnsucht der Konkubine
den Fremden auf seinem Pferd voller Interesse. Chang schenkte ihnen keine Beachtung. Es war immer dasselbe, wenn er in eine neue Stadt kam oder ein Gericht aß, das er nicht kannte: dieses scharfe Ziehen unterhalb seiner Rippen, als würde da jemand versuchen, seine Leber herauszureißen. Er wusste, was es war.
Das bist du, meine Liebe, mein Fuchsmädchen. Du. Deine kleine Faust in mir drin, die mir keine Ruhe lässt.
Bei allem Neuen, das er sah, verspürte er das Bedürfnis, es ihr zu zeigen. Zu sehen, wie ihre lohfarbenen Augen sich weiteten, wie ihre fanqui- Nase sich angesichts der wild geschwungenen Dächer, der geschnitzten Götter, die unter den Dachbalken hervorlugten, oder der filigranen Laubsägearbeiten, die in prunkvollem Scharlachrot und Gold angemalt waren, kräuselte. Im Süden Chinas war alles greller, bunter, feiner gearbeitet als irgendwo sonst, und er sehnte sich danach, das alles mit ihren Augen zu sehen.
Abrupt richtete er sich im Sattel auf und überraschte sein Pferd mit einem raschen Stoß seiner Ferse. Die lose Tunika, die er trug, klebte vor Schweiß an seinem Rücken, und er verscheuchte die Gedanken an Lydia, schloss die Augen vor dem Bild ihrer vollen, warmen Lippen. Solche Begierden raubten ihm nur Kraft. Doch ihr Lachen, das wie das Plätschern eines Flusses klang, konnte er nicht zum Verstummen bringen. Es überspülte seinen Kopf und ließ sein Herz in seinen Fluten treiben.
An einem steinernen Wassertrog stieg Chang ab. Er warf einem der Straßenjungen mit borstigem Haar eine Münze hin, damit er auf sein Pferd aufpasste. Er hielt seinen Kopf unter die Wasserpumpe, schulterte seine Satteltasche und machte sich auf den Weg die Straße entlang.
Mit grinsendem Vergnügen zog ein Barbier die Rasierklinge über das Kinn eines Kunden, der auf einem Hocker vor seinem Laden saß, während der Geschichtenerzähler aus der Bude nebenan die beiden mit einer Geschichte über einen Rattenkönig bei Laune hielt. Chang gefiel diese Stadt. Sie fühlte sich irgendwie … gemütlich an. Er stellte sich vor, wie es wäre hierzubleiben. Seine Befürchtungen, der Ort befinde sich in Aufruhr, hatten sich als haltlos erwiesen. Er bewegte sich mit geschmeidigen, leichtfüßigen Schritten vorwärts, um in dem allgemeinen Gewusel der Arbeiter und Kaufleute nicht aufzufallen. Er hatte gelernt, dass man mit seiner Art zu gehen sichtbar oder unsichtbar werden konnte, je nachdem, was man wollte.
Heute war er unsichtbar.
»Deine Finger werden langsam so ungeschickt wie die einer alten Frau, mein Freund.«
Der Schuhmacher war mittleren Alters. Er arbeitete im Schatten auf einem Bambushocker vor seinem Laden und war gerade damit beschäftigt, einen langen Lederstreifen mit hauchfeinen Stichen zu besticken. In allen Einzelheiten zeigte der Lederstreifen eine Schlange, die sich um einen Affen wand und auf die, am Ende des Streifens, mit offenem Maul ein Löwe wartete. Der Schuhmacher schaute unter seinem breitkrempigen Hut hervor, der aus Bambusblättern geflochten war, und seine schwarzen Augen hatten kaum mehr als einen Moment lang Überraschung gezeigt, als er Chang An Lo entdeckt hatte. Zuerst leuchteten sie vor Freude, während er die Gestalt des Freundes gegen die Sonne betrachtete, doch dann verfinsterte sich sein Gesicht.
»Chang An Lo, du Stück Hundescheiße, wo bist du denn die ganze Zeit gewesen? Und was verschafft dieser wertlosen Stadt hier die Ehre des Besuches eines der vertrautesten Diener unseres Anführers?«
»Es ist nicht dieser wertlose Dunghaufen von Stadt, den zu besuchen ich gekommen bin. Du bist es, Hu Tai-wai, denn ich muss mit dir sprechen.« In einer Bewegung, die so geschmeidig und leise war wie die einer Katze, hockte sich Chang An Lo neben den Schuhmacher auf den nackten Boden, nahm das Ende des Lederstreifens in die Hand und ließ es durch seine Finger gleiten. »Ich hoffe, meinen Freund in guter Gesundheit anzutreffen.«
Der Schuhmacher hatte seine Arbeit wieder aufgenommen. »Es geht mir gut.«
»Und deiner Familie auch? Der ehrenwerten Yi-ling und der schönen Si-qi?«
Die Gesichtszüge des Mannes wurden weich. »Meine Frau wird sich überglücklich schätzen, dich in unserem bescheidenen Heim willkommen zu heißen. Sie hat dich jetzt schon seit zwei Jahren nicht mehr gesehen und macht es mir zum Vorwurf, dass du so lange weggeblieben bist. Sie gibt mir die Schuld.«
Chang lachte leise. »Eine Frau gibt ihrem Mann an allem die Schuld, ob es nun eine Rattenplage im
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