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Die Sehnsucht der Konkubine

Die Sehnsucht der Konkubine

Titel: Die Sehnsucht der Konkubine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Furnivall
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gerettet, und dafür schulde ich dir Dank.«
    Er rührte sich nicht, kein einziger Muskel bewegte sich in seinem Gesicht oder seinem Körper, doch irgendwo tief in seinem Inneren ging eine Veränderung vor, als hätte sich etwas geöffnet, das vorher verschlossen gewesen war. Die Wärme, die von ihm ausging, überraschte sie.
    »Nein«, sagte er und schaute ihr tief in die Augen. »Du schuldest mir keinen Dank.« Er kam einen Schritt näher, so nahe, dass sie die winzigen purpurfarbenen Sprenkel in seinen Augen sehen konnte. »Diese Menschenhändler hätten dir die Kehle durchgeschnitten, wenn sie mit dir fertig gewesen wären. Du schuldest mir dein Leben.«
    »Mein Leben gehört mir. Mir allein und keinem anderen.«
    »Und ich schulde dir meines. Ohne dich wäre ich jetzt tot. Wärst du nicht aus den nächtlichen Schatten herausgetreten und hättest ihm Einhalt geboten, dann hätte ich jetzt eine Kugel aus der Pistole dieses Polizisten, dieses ausländischen Teufels, in meinem Kopf und wäre bei meinen Ahnen.« Er verbeugte sich sehr tief. »Ich schulde dir mein Leben.«
    »Dann sind wir quitt.« Sie hatte unsicher gelacht, weil sie nicht wusste, wie ernst er es gemeint hatte. »Ein Leben für ein Leben.«
    Damals an dem Bach hatte sie bemerkt, wie behutsam er sich auf einem Stück Gras am Bachufer niederließ, immer in sicherem Abstand von ihr, als sei er darum bemüht, sie nicht zu beunruhigen. Oder konnte er bloß die Nähe eines dieser ausländischen Teufel, dieser fanqui , nicht ertragen? Sie setzte sich auf einen Felsen, streckte die nackten Knöchel in die Sonne und verbarg ihr Gesicht unter der Krempe ihres Strohhutes. Er war ebenso zerschlissen wie ihr altes Kleid, und das war ihr peinlich. Sie beobachtete einen kleinen Vogel, der an einem Wurm in einem abgebrochenen Ast zerrte, und hoffte, Chang An Lo schaue sie nicht an.
    »Ich hatte in Peking viele Jahre lang Englischunterricht«, fuhr er fort. »Mein Lehrer war ein guter Lehrer.«
    Sie betrachtete ihn unter ihrer Hutkrempe hervor und sah mit Entsetzen, wie er einen blutgetränkten Lappen von seinem Fuß wickelte. O Gott, dachte sie, dann hatte ihn also gestern Nacht, als er ihr im Ulysses Club zu Hilfe gekommen war, der Wachhund angegriffen und mit seinen Zähnen wesentlich mehr Schaden angerichtet, als ihr bewusst war. Beim Anblick seiner Haut, die in tiefroten Streifen vom Knochen hing, schwappte eine Welle der Übelkeit über sie hinweg. Wie ein physischer Schmerz in ihrer Brust. Wie konnte er überhaupt gehen, wenn sein Fuß derart verletzt war?
    Er schaute auf und sah, wie sie mit offenem Mund seine Wunde anstarrte. Einen Moment lang begegneten sich ihre Blicke, dann wandte er sich ab. Schweigend sah sie ihm dabei zu, wie er den Fuß in die sprudelnde Strömung des Baches hielt und ihn vorsichtig rieb. Klümpchen getrockneten Blutes trieben an die Oberfläche. Rasch stand sie auf und ging auf dem Gras neben ihm in die Knie. In ihrer Hand lagen Nadel und Faden, die zu holen er sie gebeten hatte. Nun begriff sie, warum.
    »Das wirst du brauchen«, sagte sie und reichte ihm die Sachen.
    Doch als er danach griff, traf sie eine Entscheidung und zog die Hand wieder weg. »Wäre es nicht besser, wenn ich das machen würde?«, fragte sie.
    Ein Funkeln trat in seine Augen, das sie nicht entziffern konnte. Auf einmal schien etwas Leuchtendes, Unantastbares die Schwärze dieser Augen zu verzehren. Sie schluckte, selbst entsetzt über das Angebot, das sie gemacht hatte.
    Als sie das erste Mal die Nadel in sein Fleisch stieß, hatte sie damit gerechnet, er würde aufschreien, doch er gab keinen Laut von sich. Sie warf ihm einen besorgten Blick zu und entdeckte zu ihrer Verwunderung, dass er ihr Haar anstarrte und dabei lächelte, die schwarzen Augen voll geheimer Gedanken. Danach hatte sie einfach weitergenäht, ja, sie war sogar kühner geworden und hatte sich mehr darauf konzentriert, ihre Arbeit gut zu machen, als sich mit der Sorge aufzuhalten, ob es wehtat, denn es war klar, dass Narben zurückbleiben würden. Immer wieder hatte sie das Blut mit ihrem Taschentuch abgetupft, um besser sehen zu können, was sie tat, und dabei sorgfältig vermieden, darüber nachzudenken, dass es sich bei den schimmernden weißen Stellen unter ihrer Nadel um Knochen handelte.
    Schließlich hatte sie ihren Unterrock ausgezogen, ihn mithilfe von Changs Messer in Streifen geschnitten und seinen Fuß verbunden. Es sah etwas plump aus, aber besser bekam sie es nicht hin. Tschort!

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